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Technischer Überwachungsverein 1866

Technischer Überwachungsverein 1866

Beim Namen "TÜV" denken viele an ihr Auto, und wann wieder einmal "der TÜV fällig" ist. Doch der erste deutsche Überwachungsverein wurde bereits im Jahre 1866 zur Revision von Dampfkesseln gegründet, also 19 Jahre bevor Carl Benz 1885 in Mannheim das Auto erfand.

Zu Anfang des 18. Jahrhunderts beginnen in England -zunächst im Bergbau und in der Textilindustrie- Dampfmaschinen die althergebrachten Energiequellen wie Wasserräder und Windmühlen zu ersetzen. Als es James Watt gelungen ist, ihren Wirkungsgrad zu steigern, können Dampfmaschinen auch Schiffe und Lokomotiven antreiben. Ab 1878 fertigt Heinrich Lanz in Mannheim die ersten Lokomobile als „sparsame Betriebskraft“.

Bei der Dampfmaschine wird in einem geschlossenen Kessel Wasser in Dampf verwandelt. Der unter hohem Druck stehende Dampf strömt in einen Zylinder und treibt dort einen Kolben an. Dessen geradlinige Hin- und Herbewegung wird über eine Kurbel in eine Drehbewegung verwandelt, mit der Maschinen angetrieben werden können. Im Ergebnis wird also Wärmenergie in mechanische Arbeit verwandelt. Mithilfe dieser ersten "Wärmekraftmaschinen" war es möglich, Industriegüter schnell und in hoher Zahl zu produzieren. Damit eröffnet die Dampfmaschine den Weg zur Industrialisierung.

Der Betrieb von Dampfkesseln birgt jedoch viele Gefahren. Die unter hohem Druck stehenden Kessel führen häufig zu Explosionen mit Toten und Verletzten sowie hohen Sachschäden. Fehlende Ausbildung, mangelhafte Wartung, Konstruktionsfehler, zu hoher Druck oder Wassermangel zählen zu den häufigsten Ursachen von Dampfkesselexplosionen. Ein zeitgenössischer Bericht ermahnt jeden Betreiber eines Kessels stets zu bedenken, dass er

"mit dem Dampf einen gewaltigen Dämon in seine Dienste genommen hat, der ihm zwar alle Arbeiten willig verrichtet, solange man ihn bezähmt, der aber unablässig bemüht ist, seine eisernen Fesseln plötzlich zu sprengen und Tod und Verderben um sich zu schleudern".

Auch in Mannheim ereignet sich ein schwerer Unfall: am 28. Januar 1865 explodiert in der Brauerei „Zum Großen Mayerhof" in E 4,12 gegenüber dem heutigen Rathaus ein Dampfkessel. Das "Mannheimer Journal" berichtet:  "Thüren sprangen auf, die Fensterscheiben klirrten, so dass manche die Anfänge eines Erdbebens zu verspüren glaubten".

Bei der Explosion wird der Kesselwärter getötet, und vier Männer werden schwer verletzt. Unfallursache war ein Riss in der Hülle des Dampfkessels. Durch den dadurch entstandenen Wassermangel stieg der Druck und führte zur Explosion. Dies hätte verhindert werden können, wäre der Mangel rechtzeitig entdeckt worden. Doch im Gegensatz zu Preußen, wo Dampfkessel schon seit 1831 genehmigt werden müssen und seit 1856 regelmäßige Prüfungen durch Beamte erfolgen, gibt es im liberaleren Baden keine Inspektionen.

Da aber mit zunehmender Industrialisierung immer mehr Dampfkessel betrieben werden, wächst auch die Gefahr weiterer Unglücksfälle. Daher unterstützen sowohl die Regierung des Großherzogtums Baden als auch die Dampfkesselbetreiber selbst die Gründung eines Revisionsvereins, der für mehr Sicherheit sorgen soll.  

Am 6. Januar 1866 finden sich schließlich in Mannheim, dem größten Industriezentrum des Landes, 22 badische Unternehmer zusammen und gründen im Haus der Harmonie-Gesellschaft in in D 2,6 (3), dem ehemaligen Achenbach’schen Kaffeehaus die „Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitz in Mannheim“. Erster Vorsitzender wird der Fabrikant Carl Selbach. Die Gesellschafter verpflichten sich zur regelmäßigen Überprüfung der Dampfkessel. Dies soll für mehr Sicherheit sorgen und künftig Unfälle wie in der Brauerei „Zum Großen Mayerhof“ verhindern helfen und damit auch den Menschen die Angst vor dem technischen Fortschritt nehmen. Die Statuten der Gesellschaft sehen als Vereinszweck zunächst nicht nur regelmäßige Kontrollen vor, sondern auch die Versicherung der Anlagen.

Zunächst ist das Interesse an einer Mitgliedschaft jedoch gering. Erst als 1868 eine Verordnung des Badischen Handelsministeriums alle Dampfkesselbetreiber zum Beitritt auffordert, steigt die Mitgliederzahl. Nun kann der Verein seinen ersten Prüfingenieur einstellen. Es ist der erst 29 Jahre alte Ingenieur Carl Isambert.  Am 2. Oktober 1839 in Mariahütte im Saarland als Sohn des Hüttendirektors Paul Isambert geboren, besucht Carl in Trier das Gymnasium und später die Provinzial-Gewerbeschule.  Anschließend studiert er von 1858 bis 1861 am Polytechnikum Karlsruhe Maschinenbau und arbeitet danach bis 1868 als Ingenieur beim Hörder Bergwerks- und Hütten-Verein.

 

Am 13. Oktober 1868 beginnt Carl Isambert seine Arbeit als erster hauptamtlich tätiger Sachverständiger eines technischen Überwachungsvereins in Deutschland. Schon wenige Tage später unternimmt er seine erste Inspektionsreise durch das Großherzogtum Baden. (6) Dabei stellt er an vielen der untersuchten Dampfkessel eine ganze Reihe gefährlicher Mängel fest, vor allem Konstruktionsfehler, Mängel an Armaturen wie etwa festgekeilte Sicherheitsventile, aber auch Fehler beim Betrieb der Anlagen. Oft wissen die Besitzer und ihr Personal nicht, wie die Dampfkessel effizient und sicher zu betreiben sind. (7) Daher prüft er nicht nur die Anlagen, sondern klärt vor allem auch über die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen auf.

Diese Aufklärungsarbeit trägt schnell Früchte. Schon bei seiner zweiten Inspektionsreise muss Isambert deutlich weniger beanstanden, und ein Jahr später kann er auf der Mitgliederversammlung des Überwachungsvereins berichten, dass bei keinem der geprüften Kessel mehr eine akute Explosionsgefahr bestehe. Über seine Inspektionen berichtet er

„Fast überall, wo ich hinkam, erkannte man die Zweckmäßigkeit unserer Institution, einzelne Kesselbesitzer erwarteten mich sogar mit Ungeduld, wie der Kranke den Arzt, und ich bin überzeugt, dass dieses System der freiwilligen Überwachung eine große Ausdehnung gewinnen wird.“

Damit behält er recht. Die Zahl der Kesselexplosionen sinkt so schnell und beeindruckend, dass bald weitere Überwachungsvereine gegründet werden: in Hamburg und Magdeburg sowie im April 1870 in München der "Bayerische Dampfkessel-Revisions-Verein". Auch die bayerischen Brauereien arbeiten damals mit Dampf.

Über diese Erfolge berichtet Isambert 1871 auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) in Kassel. 1873 folgt Hannover dem Mannheimer Vorbild. Im gleichen Jahr wird auch der deutsche Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen gegründet. 

Carl Isambert schreibt nicht nur seine jährlichen Geschäftsberichte für den Verband, sondern veröffentlicht vor allem auch seine Erfahrungen und Kenntnisse, die er durch stetige Fortbildung auch im Ausland immer weiter vertieft. Damit trägt er dazu bei, dass immer mehr Überwachungsvereine ihre segensreiche Arbeit aufnehmen können.

Innerhalb von zehn Jahren wächst die Zahl der Überwachungsvereine in Deutschland auf zwanzig an. Und 15 Jahre nach der Gründung in Mannheim gibt es fast überall in Deutschland technische Überwachungsvereine. Noch fehlen jedoch einheitliche und verbindliche Standards für die Sicherheit und Prüfung von Dampfkesseln, und die Sachverständigen entscheiden selbst, wie eine ordnungsgemäße Funktion auszusehen hat. Erst im Sommer 1881 einigt man sich auf verbindliche Grundsätze zur Materialprüfung. Drei Jahre später gibt es auch Richtlinien für die Berechnung der Kesselkörper, damit schon beim Bau der Dampfkessel Unfallrisiken vermieden werden.

Carl Isambert arbeitet bis zu seinem Lebensende beim Überwachungsverein und wird für seine Verdienste mit dem badischen Ritterkreuz erster Klasse ausgezeichnet. Er stirbt nach kurzer schwerer Krankheit am 7. November 1899 in Mannheim und wird auf dem Hauptfriedhof beigesetzt.

Doch die Erfolgsgeschichte des TÜV geht weiter. Um 1900 beginnen die eigentlich für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zuständigen Staaten im deutschen Reich sich aus der unmittelbaren Aufsicht zurückzuziehen und ihre hoheitlichen Kontrollaufgaben den Dampfkesselüberwachungsvereinen und deren für unterschiedliche technische Herausforderungen speziell ausgebildeten Ingenieuren zu übertragen. Dies erspart ihnen Kosten, und die Unternehmen können so die Staatsgewalt von ihren Betrieben fernhalten.

Als um die Jahrhundertwende Anlagen elektrisch betrieben werden können, zählt bald auch die Prüfung elektrischer Anlagen zu den Aufgaben des TÜV, wie zum Beispiel die Begutachtung elektrischer Aufzüge oder Bergbahnen.

Mit Einführung der Fließbandfertigung wächst die anfangs noch geringe Anzahl an Autos rasant an. Daher ordnet das Großherzogtum Baden im September 1906 eine Überprüfung der Automobile an: „Wenn ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen werden soll, hat der Eigentümer hiervon dem Bezirksamt seines Wohnorts eine schriftliche Anzeige zu erstatten. […] Der Anzeige ist das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen beizufügen.“ Diese Aufgabe wird der „Gesellschaft zur Überwachung und Versicherung von Dampfkesseln zu Mannheim“ übertragen.   Um diesen Anforderungen gewachsen zu sein, lässt der Überwachungsverein bei Benz & Cie. zwölf Kessel-Ingenieure zu Kfz-Sachverständigen ausbilden und richtet 1910 eine eigene Abteilung zur Prüfung von Fahrzeugen und ihren Führern" ein.

Die regelmäßige Vorführung von Kraftfahrzeugen zur Hauptuntersuchung wird jedoch erst mit der 1938 in Kraft tretenden Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) vorgeschrieben. Im gleichen Jahr wird der Dampfkessel-Überwachungsverein in "Technischer Überwachungsverein (TÜV)" umbenannt. Ihm wird die Aufgabe übertragen, die Verkehrstauglichkeit aller zugelassenen Fahrzeuge regelmäßig zu überprüfen. Aber Viele ignorieren dies.  Auch als 1951 die Hauptuntersuchung von Kraftfahrzeugen in zweijährigem Turnus verpflichtend wird, folgen nicht alle Halter der damals 716.000 zugelassenen Fahrzeuge der Einladung zum TÜV-Termin. Dies ändert sich erst 1961, als es bereits 4,2 Millionen PKW gibt, mit der Einführung einer auf dem hinteren Kennzeichenschild angebrachte Prüfplakette, die Monat und Jahr der nächsten Hauptuntersuchung anzeigt. Bei Ablauf der Plakette wird ein Bußgeld fällig, und um den Prüftermin müssen sich die Fahrzeughalter nun selbst kümmern.

Im Laufe der Jahre sorgt der zunehmende technische Fortschritt für ein immer breiteres Aufgabenspektrum. So wacht der TÜV über die Sicherheit sogenannter „fliegender Bauten“, also der Fahrgeschäfte auf Volksfesten und prüft Rolltreppen ebenso wie Skibindungen oder Bauteile von Stromleitungen und Windrädern und viele anderen technischen Einrichtungen. 

Das Ziel bleibt stets, die mit der Technik verbundenen Risiken zu minimieren, Menschen und Umwelt zu schützen und so für Vertrauen in die Technik zu sorgen. Auch später hinzu gekommene Prüforganisationen wie zum Beispiel die Dekra oder die Gesellschaft für Technische Überwachung sind diesem Ziel als kompetente, unabhängige und neutrale Gutachter verpflichtet.

Aus dem einstigen Dampfkessel-Überwachungsverein ist ein weltweit tätiges Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der technischen Sicherheit mit mehr als 24.000 Mitarbeitern an über 1000 Standorten geworden.

Mit dem Carl-Isambert-Preis für Sicherheitstechnik und Umweltschutz erinnert der TÜV Süd jedes Jahr an seinen ersten Prüfingenieur. Vor dem Quadrat D 2,6 in Mannheim, wo sich einst die 22 badischen Unternehmer im Haus der Harmonie-Gesellschaft versammelten, erinnert eine Stele an die Gründung des TÜV - und auch eine Tafel auf der Kurpfälzer Meile der Innovationen.

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