Rhönrad 1921
Otto Feick
Am 4. Juli 1890 wird in der Heil`schen Schmiede des pfälzischen Dorfes Reichenbach, nahe Kaiserslautern, Otto Feick geboren. Er wächst dort bei seiner Mutter Philippina Heil und den Großeltern auf. Sein Vater Ludwig Feick, ein Schmied lebt im etwa 10 km entfernten Glan-Münchweiler. Der kleine Junge ist gerne bei seinem Großvater in der Schmiede. Eines Tages nimmt er sich dort zwei Wagenreifen, verbindet diese miteinander und stellt sich zwischen die beiden Reifen. Nachdem er seine Füße mit einer Schnur festgebunden hat, hält er sich an den Reifen fest und lässt sich den kleinen Hang bei der Schmiede herunterrollen, wobei er sich die Finger quetscht.
Als seine Mutter 1901 wieder heiratet, zieht er mit ihr nach Kaiserslautern, wo er die Schule besucht und 1903 in der evangelischen Stiftskirche konfirmiert wird. Otto erlernt das Schlosserhandwerk und leistet 1912 in Aschaffenburg seinen Militärdienst ab. Dort lernt er Pauline Schmalz aus dem fränkischen Schönau kennen und heiratet sie 1914. Das junge Paar zieht nach Ludwigshafen in den gerade neu entstehenden Ortsteil Gartenstadt. Otto Feick arbeitet in Ludwigshafen im Betriebswerk der Deutschen Reichsbahn als Lokomotiv-Schlosser, engagiert sich im Eisenbahner-Verband und wird bald in den Vorstand der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands gewählt. Mit dem Ziel, den durch die Arbeit in der Fabrik wie auch die beengten Wohnverhältnisse bedingten Belastungen mit Hilfe von Sport zu begegnen, gründet er im Juni 1919 in Ludwigshafen den „Verein für Volksgesundheit“ und wird dessen erster Vorsitzender. Das Sportgelände des Vereins wird direkt an dem kleinen See Blies angelegt. Dieser Verein besteht unter dem Namen „VSK Germania Niederfeld 1919 e.V.“ noch heute.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wird die Pfalz französisch besetzt. Der Eisenbahnschlosser Otto Feick und viele seiner Kollegen leisten passiven Widerstand. Sie weigern sich, für die Besatzungsmacht zu arbeiten und fertigen keine Güterzüge nach Frankreich mehr ab. Einige Züge entgleisen sogar wie „aus heiterem Himmel“. Daraufhin werden er und mehrere Kollegen 1921 von der französischen Militärpolizei verhaftet. Auch wenn viele Tausend Ludwigshafener dagegen demonstrieren, wird er von einem Militärgericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er im Militärgefängnis in Mainz verbüßen muss.
Im Gefängnis erinnert er sich an die Reifen, mit denen er als Kind den Hang vor der Schmiede seines Großvaters hinuntergerollt war und beginnt sich mit Plänen für ein ungewöhnliches Turngerät zu beschäftigen: zwei kreisförmige Stahlreifen von jeweils etwa eineinhalb Metern Durchmesser werden durch sechs gleich lange Sprossen parallel zueinander verbunden. An zwei Sprossen werden Griffe montiert und an zwei weiteren Sprossen Bretter mit gepolsterten Lederriemen zur Aufnahme der Füße. Zusätzlich befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite zwei weitere Haltegriffe.
Nach der Entlassung aus der Haft fertigt er ein erstes Modell an und probiert es 1922 auf dem Gelände seines Vereins für Volksgesundheit aus. Das hierbei entstandene Foto verwendet er später für die Patentanmeldung.
Als die deutsche Reichsregierung 1922 mit der Leistung der im Versailler Vertrag festgesetzten hohen Reparationszahlungen in Verzug gerät, wird im Januar 1923 das Ruhrgebiet von französischen und belgischen Truppen besetzt. Daraufhin ruft die Reichsregierung zum passiven Widerstand auf und weist ihre Beamten an, Anordnungen der Besatzer nicht zu befolgen. Auch wird den Arbeitern der Reichsbahn verboten, Kohle nach Frankreich oder Belgien zu befördern. Die Franzosen antworten darauf mit Ausweisung. 1923 müssen allein in der Pfalz 5.000 Eisenbahner mit ihren Familien binnen 24 Stunden ihre Heimat verlassen, darunter auch Otto Feick. Er zieht mit seiner Familie in den kleinen Ort Schönau an der Brend, dem in der Rhön gelegenen Heimatort seiner Frau.
Dort gründet Feick eine Metallwerkstatt, wo er unter anderem Bettgestelle und Spielzeug herstellt und an der Verbesserung seines Turngerätes weiterarbeitet. Zum Dank an seine neue Heimat nennt er es „Rhönrad“. Im November 1925 wird ihm auf dieses außergewöhnliche Sportgerät ein Patent erteilt.
Ab 1926 reist er mit einer kleinen Gruppe von Turnerinnen und Turnern durch Deutschland, um seine Erfindung bekannt zu machen. Dabei kommt er auch nach Ludwigshafen, wo er das Rhönrad auf einer Erfindermesse im neu eröffneten Ebertpark vorstellt. Anschließend bereist er mit seiner Turntruppe fast ganz Europa und 1929 schließlich auch die Vereinigten Staaten. Dort werden die Rhönräder als "German Wheels" bekannt und spielen sogar in dem 1929 von Metro Goldwyn Mayer produzierten Film „Dynamit“ bei einem Sportfest eine wichtige Rolle.
Anlässlich der Premiere dieses Films in Österreich berichtet das Neue Wiener Tageblatt in seiner Ausgabe vom 24. April 1931, man könne in dem Film ein von Damen bestrittenes Rhönrad-Rennen sehen. Nach einer Vorführung in England werden Rhönräder von Piloten der Royal Air Force zum Training des Gleichgewichtssinns und zur Simulation von Loopings eingesetzt.
Um diese kostspieligen Vermarktungstourneen finanzieren zu können, muss Otto Feick sogar seine Patentrechte verpfänden. Aber die Produktion der Rhönräder, die zwischen 80 und 100 Reichsmark kosten, beginnt schließlich so erfolgreich zu laufen, dass er in Würzburg eine neue Werkstätte eröffnen kann.
Bereits im August 1930 findet in Bad Kissingen das erste internationale Rhönrad-Turnier statt. Die Sportler messen sich unter anderem im „Bergab-Mutfahren“, Wett- und Hindernisrennen. Und schließlich führen 1936 in einem Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in Berlin 120 Turner Rhönräder vor, auch wenn es -bis heute übrigens- keine olympische Disziplin ist. Dieser Auftritt macht das Rhönrad nicht nur schlagartig bekannt, sondern hat auch zur Folge, dass selbst lange nach dem 2. Weltkrieg das Rhönrad noch als „Nazi-Sport“ verpönt ist, obwohl sich der Gewerkschaftler und überzeugte Demokrat Otto Feick nie von den Nationalsozialisten hat einnehmen lassen.
Trotzdem kann Feick keine Rhönräder mehr verkaufen und muss seine Werkstatt schließen. Noch mehr aber macht ihm der Tod seines einzigen Sohnes Fritz zu schaffen, der 1945 auf der Flucht aus russischer Gefangenschaft erschossen wird. Feick ist ein gebrochener Mann (20).
Erst ab 1953 finden wieder Wettbewerbe im Rhönradturnen statt. Nachdem der Deutsche Turnerbund das Rhönradturnen 1959 offiziell als Turndisziplin anerkennt, wird 1960 in Hannover die erste deutsche Meisterschaft ausgetragen. Erst mehr als 30 Jahre später gibt es eine Europameisterschaft. Nach Gründung des internationalen Rhönradverbandes 1995 findet noch im gleichen Jahr im niederländischen Den Helder die erste Weltmeisterschaft statt.
Geschwindigkeitsrennen spielen keine Rolle mehr. Nun geht es bei den Disziplinen um artistische Übungen im und auf dem Rad. Beim Geradeaus-Turnen rollt das Rad auf beiden Reifen in die durch Gewichtsverlagerung bestimmte Richtung. Beim Spirale-Turnen wird das gekippte Rad auf nur einem Reifen in einem Kreis bewegt. Besonders anspruchsvoll ist der Sprung. Hier springen die Sportler auf das rollende Rad und dann mit einem Salto oder auch Überschlag wieder herunter.
Diese akrobatischen Übungen erfordern nicht nur Ausdauer sowie Arm- und Beinkraft, sondern auch Koordination und einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn.
Heute sind die Stahlreifen der Rhönräder mit Hart-PVC beschichtet. Dadurch kann man mit dem Rhönrad nun auch wetterunabhängig in Hallen turnen. Dies hat auch den Vorteil, dass die Turner ihre Übungen langsamer und präziser ausführen und auch größere Räder mit bis zu 2,40 m Durchmesser nutzen können. Solche Rhönräder wiegen bis zu 60 Kilogramm. Auch können die Räder heute zerlegt und dadurch leichter transportiert werden.
Dies alles erlebt Feick nicht mehr. Gesundheitlich angeschlagen, lebt er von einer geringen Rente in ärmlichen Verhältnissen. Nach langer Krankheit stirbt er am 17. Oktober 1959 und wird in Schönau an der Brend beigesetzt. Der Otto-Feick-Platz in Reichenbach-Steegen erinnert an ihn. Und nun auch die Tafel der Kurpfälzer Meile der Innovationen, die wir heute einweihen.