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Kunstleder 1844 Simmering 1932

Kunstleder 1844

Carl Johann Freudenberg (1819-1898)

Carl Johann Freudenberg wird am 9. Mai 1819 als Sohn des Gastwirts und Bürgermeisters Georg Wilhelm Freudenberg und seiner Ehefrau Katharina Elisabeth in Hachenburg (Westerwald) geboren. Er ist erst neun Jahre alt, als sein Vater stirbt und seine Mutter Katharina mit ihren sechs Kindern zu ihrer in Neuwied lebenden Familie zieht.

Nach der Schule geht der 14-jährige Carl Johann bei der Mannheimer Lederhandlung Heintze & Sammet in die Lehre. Jean Baptiste Sammet, ein Verwandter seiner Mutter, übernimmt ihn nach der Lehre als Angestellter. 1844 wird Carl Johann stiller Gesellschafter der Firma und heiratet Sophie Martenstein.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Revolution von 1848 führen zur Insolvenz der Lederhandlung. Während Sammet in Mannheim den Handel weiterführt, erwirbt Carl Johann Freudenberg zusammen mit Heinrich Heintze aus der Konkursmasse die Weinheimer Gerberei und gründet am 9. Februar 1849 in Weinheim die Gerberei Heintze & Freudenberg.

Als der in Frankreich ausgebildete Gerbermeister Eduard Michel die Beschichtung von Kalbsleder vorschlägt, erkennen die Firmengründer, welche glänzenden Möglichkeiten das neue modische Lackleder bietet. Im Müllheimer Tal wird die erste, vom Schwiegervater Martenstein finanzierte Lackierfabrik gebaut. Das schon ein Jahr nach Firmengründung auf den Markt gebrachte Lackleder wird ein großer Erfolg. Leopold Heintze, Sohn des Mitinhabers Heinrich Heintze, lebt in England und sorgt dort für den Verkauf des neuen Produktes. Als das Lackleder auf der ersten Weltausstellung im Jahre 1851 mit einer Medaille ausgezeichnet wird, steigt der Umsatz rapide an. 1855 zählt der Betrieb bereits zu den größten deutschen Gerbereien. Lackleder macht etwa 80% der Produktion aus.

Im Jahre 1874 stirbt der Mitinhaber Leopold Heintze, Nachfolger seines bereits 1864 verstorbenen Vaters Heinrich. Carl Johann Freudenberg nimmt einen Kredit auf und zahlt den Erben ihren Kapitalanteil aus und ist damit alleiniger Inhaber. Er benennt die Firma in „Carl Freudenberg“ um. 1875 nimmt er seine Söhne Friedrich Carl (1848 – 1942) und Hermann Ernst (1856 – 1923) in die Firma auf. Insbesondere mit Hilfe von Herrmann gelingt es, die bisher handwerkliche Fertigung des Lackleders bei unverändert hoher Qualität in eine industrielle Massenproduktion zu überführen. Als die Söhne 1887 Teilhaber werden, gibt Carl Johann ihnen seine wichtigsten Prinzipien für ein erfolgreiches Unternehmen mit auf den Weg: Bescheidenheit, Ehrlichkeit, eine solide finanzielle Grundlage und nicht zuletzt die Fähigkeit, sich Veränderungen anzupassen.

Im Jahr 1896 wird im Gewann „Zwischen den Dämmen“ zwischen den beiden Armen der Weschnitz, eine Haarwäscherei gebaut, wo die beim Enthaaren der Felle anfallenden Haare gereinigt und für die Filzherstellung zum Beispiel für Hüte, aufbereitet werden. 

Am 6. August 1898 stirbt Carl Johann Freudenberg und seine beiden Söhne werden Alleininhaber der Firma „Carl Freudenberg GmbH“.

Um 1900 führt Freudenberg als erstes europäisches Unternehmen die Chromgerbung ein. Dieses Verfahren hat Hermann Ernst Freudenberg in den USA kennen gelernt und weiter entwickelt. Statt der aus natürlichen pflanzlichen Stoffen bestehenden Gerberlohe wird nun mit Chromsalzen gegerbt. Das neue Verfahren verkürzt die Gerbdauer von bislang 18 Monaten auf nur noch 18 Tage. Das neue Chromleder ist zudem von besserer Qualität. Es ist wasserunempfindlich, pflegeleicht und hat eine gleichmäßigere Oberfläche. Im Jahr 1912 zählt Freudenberg mit 1.300 Mitarbeitern und einem Umsatz von 12,5 Millionen Mark zu den größten Gerbereien Europas.

 

Der Erste Weltkrieg bringt der Firma große Probleme. Der Export ins Ausland wird ebenso schwierig wie der Import von Rohware. Zudem sind viele Mitarbeiter zum Militärdienst einberufen. Ihre Arbeit in der Gerberei übernehmen Frauen. Nach Kriegsende erschwert zunächst die Inflation den Einkauf der Rohwaren. Aber nachdem dieses Problem 1921 durch Gründung einer Finanzierungs-Gesellschaft in der Schweiz gelöst werden kann, geht es langsam wieder aufwärts.

Inzwischen tragen auch die Enkel des Firmengründers, Richard (1892 – 1975), Hans (1888 – 1966), Otto (1890 – 1940) und Walter (1879 – 1957) in der Firma Verantwortung. Ein Gesellschaftsvertrag leitet eine Unternehmens-Verfassung ein. Zur Sicherung des Unternehmens wird festgeschrieben, wie künftig innerhalb der nun großen Familie die Geschäftsführung und die finanziellen Beteiligungen geregelt werden sollen und die operativen Geschäfte werden von Familienangelegenheiten getrennt. Auf diese Weise kann sich das Unternehmen auch nach dem Tod von Hermann Ernst Freudenberg im Jahr 1923 erfolgreich weiter entwickeln.

Die erste Bewährungsprobe der neuen Geschäftsführer kommt Ende 1929 mit der Weltwirtschaftskrise. In Europa und den USA setzt sich immer mehr nationaler Protektionismus mit hohen Zollschranken durch. Der Außenhandel und damit auch die Industrieproduktion gehen stark zurück, der Kapitalstrom nach Deutschland versiegt, Schuhfabriken schließen und Exportmärkte brechen weg. Preisverfall und Massenarbeitslosigkeit bedeuten in dieser Zeit für viele Unternehmen den Ruin, und auch Freudenberg, damals größter Lederproduzent Europas, macht eine schwere Zeit durch. Um Massenentlassungen abzuwenden, führt Freudenberg die 20-Stunden-Woche und damit Kurzarbeit für alle ein.

Not macht erfinderisch: Hans Freudenberg beauftragt seinen aus Kufstein stammenden und seit 1919 für die Gerberei-Maschinen zuständigen Betriebsingenieur Walther Simmer (1888 - 1986), für die Maschinen Manschettendichtungen aus Lederabfällen zu entwickeln.

Die zu diesem Zeitpunkt bei den Maschinen noch verwendeten Wellenabdichtungen aus Filz können Schmierstoffe und Gase nicht vollständig und über längere Zeit hinweg zurückhalten, was die Leistung vermindert und zu erhöhtem Verschleiß führt. An den Lederspaltmaschinen zeigte sich, dass Kugellager mit der Zeit wegen undichter Filzringe von eindringenden Laugen zerstört wurden.

Die Stelle, an der eine Welle vom geschlossenen System in ein offenes System übertritt, muss abgedichtet werden, um einerseits ein Austreten von Flüssigkeiten oder auch Gasen zum Beispiel aus einem Motorgehäuse, andererseits aber auch ein Eindringen von Staub, Schmutz oder Feuchtigkeit in das Gehäuse zu verhindern. Dies ist dann besonders schwierig, wenn die im Motor erzeugte Kraft durch die Bewegung einer Welle, eines Kolbens oder eines Gestänges aus dem Gehäuse nach außen übertragen werden soll.

Zunächst erreicht Simmer mit der von ihm erdachten Ledermanschette bereits eine bedeutende Verbesserung. Nach eingehenden Versuchen perfektioniert er die Dichtung noch weiter: er baut den Ledermanschettenring fest in ein Blechgehäuse ein. Die Dichtleistung verbessert er mit einer gegen die drehende Welle der Maschine drückende Wurmfeder und der damit einhergehenden Erhöhung der radialen Anpresskraft noch weiter. So umschließt die Dichtlippe nun die drehende Welle dauerhaft. Freudenberg kann der Automobilindustrie anstelle der bisher verwendeten Filzabdichtungen ein komplettes Einbausystem als haltbare Dichtung anbieten. Nun muss man keinen Auffangbehälter mehr unter die Motoren stellen, denn sie verlieren kein Öl mehr. Bereits 1932 beginnt die Serienproduktion.

Die revolutionäre, unter dem Namen „Simmerring“ bekannt gewordene Radialwellen-Dichtung, wird ein weltweiter Erfolg. Wie sich aber herausstellt, trocknet im Laufe der Zeit das zunächst mit Wachs, später mit einer gummiartigen Masse imprägnierte Leder aus und schrumpftDaher ist die Dichtung nur für kleine Wellendurchmesser geeignet. Zudem sind die ersten „Simmerringe“ auch nicht temperaturbeständig. Als es dann ab 1934 infolge der Autarkiepolitik der Nationalsozialisten immer schwieriger wird, Leder zu importieren, sucht Freudenberg nicht nur nach Verwertungsmöglichkeiten für die wertvollen Lederabfälle, sondern auch nach Stoffen, die Leder ersetzen können. Seit 1927 gibt es den ersten, bei I.G. Farben in Leverkusen, einem Zusammenschluss von acht deutschen Chemieunternehmen, entwickelten Synthesekautschuk namens BUNA. Experimente damit zeigen, dass BUNA wesentlich temperaturbeständiger als Leder ist und sich sehr gut als Ersatzstoff eignet. 1936 wird Chromleder durch BUNA ersetzt.

Daraus wird zwei Jahre später Perbunan entwickelt, das nicht nur gegen hohe Temperaturen beständig ist, sondern auch gegen Öl, Alterung und Witterung. Mit Perbunan lässt sich der Produktionsaufwand wesentlich verringern, denn der Dichtungskörper wird bereits in der Vulkanisierpresse passgenau geformt und die Dichtlippe später dem jeweiligen Verwendungszweck angepasst, wodurch sie insbesondere drehende Wellen optimal abdichtet. 1936 kommt der erste „Simmerring“ mit Perbunan auf den Markt. Walther Simmer reicht 1938 das Patent ein, das ihm 1942 erteilt wird. Bis dahin tragen die „Simmerringe“ die Zusatzprägung „D.R.P. Ang.“ (Deutsches Reich Patent angemeldet)

Der „Simmering“ macht Freudenberg zum führenden Spezialisten für Dichtungstechnik. Im Januar 1953 wird Hans Freudenberg der 100 millionste „Simmerring“ überreicht. Dank unzähliger Weiterentwicklungen dichten „Simmerringe“ noch heute die unterschiedlichsten Maschinen vom Auto bis zu Ventilatoren oder Waschmaschinen, zuverlässig ab. Inzwischen werden Dichtungen mit Zusatzfunktionen entwickelt, zum Beispiel zur Messung der Drehzahl im Motor oder zur Reduktion von CO2-Emissionen.

Als Forscher im Versuchslabor für Vliesstoffe beobachten, wie Putzfrauen mit Abfällen des Vliesstoffes die Fußböden aufwischen, ist das Vileda-Tuch („wie Leder“) geboren und werden ab 1948 Produkte für den Haushalt hergestellt.

Freudenberg produziert seine Vliesstoffe aber nicht nur für Vileda oder Textil-Einlegstoffe, sondern auch für Schalldämmungen, Kabelummantelungen, Dichtungen, Autoteile und sogar Medizinprodukte wie etwa mit Antibiotika oder Enzymen angereicherte Wundverbände. Die Filtration ist heute ein eigenständiger Geschäftsbereich. Bei Autoinnenraumfiltern ist Freudenberg Marktführer.

Das für den „Simmerring“ entwickelte Perbunan eignet sich auch hervorragend für Schuhsohlen, Treibriemen oder Fußbodenbeläge und eröffnet Freudenberg die Möglichkeit, weitere Geschäftsfelder zu erschließen und seine Produktpalette auszuweiten.

170 Jahre nach seiner Gründung zählt das traditionsreiche Familienunternehmen in mehr als 30 unterschiedlichen Marktsegmenten mit nahezu 500 selbständigen Gesellschaften an 170 Produktionsstandorten in 57 Ländern zu den erfolgreichsten deutschen Industrieunternehmen. Leder spielt aber seit Schließung der letzten Gerberei im Jahre 2002 keine Rolle mehr.

Freudenberg ist ein innovatives Unternehmen geblieben und gehört bis heute rund 300 Nachfahren des Firmengründers. Einmal im Jahr werden sie nach Weinheim zur Hauptversammlung eingeladen.

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