Nobelpreisträger Chemie
Fritz Haber (1918), Carl Bosch (1931) Friedrich Bergius (1931) Georg Witt (1979) Stefan Heil (2014)
Der Nobelpreis wird seit 1901 verliehen und gilt als weltweit höchste Auszeichnung für bedeutende Leistungen in Physik, Chemie, Physiologie und Medizin, aber auch für Literatur und Frieden. Stifter des Preises ist der Schwede Alfred Nobel. Mit der Erfindung des Dynamits zu großem Reichtum gelangt, verfügte Nobel 1895 in seinem Testament, dass fast sein gesamtes Vermögen in einen Fonds fließt „dessen Zinsen jährlich als Preis an diejenigen ausgeteilt werden sollen, die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben.“ Nobel erklärte weiter, es sei sein ausdrücklicher Wille, dass der Würdigste den Preis erhält, ohne Ansehen der Nationalität. In jedem Jahr findet am 10. Dezember, dem Todestag Nobels, die feierliche Preisverleihung in Stockholm statt. Der Friedensnobelpreis wird in Oslo übergeben.
Wir können stolz darauf sein, dass auch unsere Region zahlreiche Nobelpreisträger hervorgebracht hat. In der Kategorie Chemie sind das Carl Bosch, Friedrich Bergius, Richard Kuhn, Stefan Hell und Jacques Dubochet.
Carl Bosch wird am 27. August 1874 als erstes der sieben Kinder von Paula und Carl Friedrich Bosch in Köln geboren. Der Vater ist Mitinhaber einer Installationsfirma und Bruder des berühmten Unternehmers Robert Bosch. Schon als Kind sieht sich Carl im väterlichen Betrieb um und macht dabei seine ersten handwerklichen Erfahrungen. Nach Abschluss der Oberrealschule im Jahre 1893 erhält er bei einem Hüttenwerk in Schlesien eine handwerkliche Ausbildung, bei der er auch Kenntnisse in der Metallurgie erwirbt.
Nach der Lehre studiert Carl Bosch zunächst an der Technischen Hochschule Charlottenburg Maschinenbau und wechselt ab dem Sommersemester 1896 zum Studium der Chemie an die Universität Leipzig. Bereits zwei Jahre später promoviert er mit dem Prädikat „summa cum laude“ in organischer Chemie mit der Dissertation „Über die Kondensation von Dinatriumacetondicarbonsäurediethylester mit Bromacetophenon“.
Carl Bosch bleibt anschließend noch zwei Jahre als Assistent für analytische Chemie in Leipzig. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Botanik und Zoologie, aber auch Mineralogie und Insektenkunde. Am Ende seines Lebens besitzt er eine umfangreiche Sammlung von selbst präparierten Pflanzen, Schmetterlingen und Käfern. Ein Teil davon ist heute im Carl Bosch Museum in Heidelberg zu bewundern.
Auf Empfehlung seines Doktorvaters wird Carl Bosch 1899 bei der BASF als Chemiker eingestellt. Er heiratet in Köln Else Schilbach und zieht mit ihr nach Ludwigshafen, wo die Kinder Carl und Ingeborg geboren werden.
1902 erhält Bosch vom damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der BASF Heinrich von Brunck, den Auftrag, die bei der Bindung von Luftstickstoff auftretenden Probleme zu untersuchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es noch kein Verfahren, den reaktionsträgen Luftstickstoff in chemische Verbindungen zu überführen und damit z.B. als Dünge-mittel nutzbar zu machen. Die Entwicklung eines solchen Verfahrens ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Schon der berühmte Justus von Liebig hatte 1840 in seinem Werk über Agrikulturchemie darauf hingewiesen, dass Pflanzen die zur Bildung von Chlorophyll und pflanzlichen Proteinen benötigten Mineralstoffe wie insbesondere Phosphor, Kalium und Stickstoff mit ihren Wurzeln aus dem Boden aufnehmen. Durch intensiven Ackerbau aber werden den Böden diese Mineralstoffe im Laufe der Zeit entzogen.
Um 1900 kommt es in Deutschland und vielen anderen Teilen Europas immer häufiger zu Missernten und dadurch sogar zu Hungersnöten. Viele Menschen wandern in dieser Zeit nach Amerika aus. Um die Versorgung der schnell wachsenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu sichern, muss den ausgelaugten Böden vor allem Stickstoff zugeführt werden.
Die natürliche Düngung mit Jauche oder Mist, bei der durch Zersetzung stickstoffhaltiger Stoffe Ammoniak frei wird, reicht aber nicht aus. Ammoniak ist bei Raumtemperatur ein giftiges Gas von stechendem Geruch, den wir vom Salmiakgeist, der wässrigen Stickstofflösung, kennen. Das im Ammoniakmolekül enthaltene Stickstoffatom ist an drei Wasserstoffatome gebunden, daher seine Formal "NH3". Das N steht für Stickstoff, das H für Wasserstoff.
Zur Ergänzung der organischen Düngung dient in jener Zeit der Salpeter. Dieses stickstoffhaltige Salz kommt in der Natur vor, ist aber sehr teuer, weil es aus Übersee, z.B. aus Chile, herangeschafft werden muss. Der Gedanke, die von den Pflanzen zum Aufbau der Blattmasse verwertbaren Stickstoffsalze großtechnisch herzustellen, liegt nahe.
Stickstoff, ein farb- und geruchloses Gas, ist reichlich vorhanden, denn es ist mit einem Anteil von 78% der Hauptbestandteil der Erdatmosphäre. Aber die Pflanzen können den Luftstickstoff nicht direkt verwerten. Das Stickstoffmolekül N2 besteht aus zwei fest aneinander gebundenen Stickstoffatomen. Nur durch hohe Energiezufuhr lassen sich die beiden Atome voneinander trennen.
Gewitterblitze beispielsweise spalten durch die bei ihnen auftretenden hohen Temperaturen die Stickstoffmoleküle. Die freigesetzten Stickstoffatome sind sehr reaktionsfreudig und verbinden sich sofort wieder mit anderen Atomen oder Molekülen, z.B. mit Wasser. Auf diese Weise gelangt der Stickstoff in einer für Pflanzen verwertbaren Form in den Boden. Besonders wirksam sind Gewitter zu Beginn der Vegetationsperiode im Frühjahr. Nicht umsonst sagt eine alte Bauernregel: "Gewitter im Mai, schreit der Bauer juchhei!"
Bosch führt bei der BASF Versuchsreihen durch, bei denen Stickstoff in chemische Verbindungen gebracht werden soll. Die Ergebnisse sind allerdings unbefriedigend: die angewandten Verfahren liefern keine ausreichende Ausbeute, sind zu unwirtschaftlich oder lassen sich nicht großtechnisch umsetzen.
Zur gleichen Zeit untersucht an der Technischen Hochschule Karlsruhe der Chemiker Fritz Haber, die Reaktion zwischen Stickstoff und Wasserstoff unter hohem Druck und bei hoher Temperatur. Nach jahrelangen Versuchen findet er heraus, dass für eine ausreichende Reaktionsgeschwindigkeit ein Druck von ca. 300 bar, also das 300-fache des normalen Luftdruckes, Temperaturen von 400 Grad Celsius sowie nicht zuletzt auch geeignete Katalysatoren erforderlich sind.
1908 liefert seine Versuchsapparatur unter Laborbedingungen das erste synthetisch hergestellte Ammoniak. Er meldet sein Verfahren zum Patent an und wendet sich zu dessen groß-technischer Umsetzung an die BASF. Dort sieht man aber vor allem hinsichtlich der erforderlichen hohen Drücke ein großes Problem. Denn noch gibt es keine Druckbehälter und Rohre, die solchen Belastungen standhalten. Hinzu kommt, dass Wasserstoff bei hohen Temperaturen und Drücken selbst durch die dicksten Stahlwände diffundiert, denn seine Atome sind winzig klein.
Aber Carl Bosch findet eine Lösung. Er konstruiert aus neuartigen Stahlsorten ein doppelwandiges Rohr. Es besteht im Inneren aus weichem, kohlenstoffarmen Eisen, das vom Wasserstoff kaum durchdrungen wird und einem Mantel aus festem Stahl. Durch Löcher im Außenrohr kann der noch durch das innere Rohr diffundierende Wasserstoff entweichen. Alwin Mitasch, Leiter des Ammoniaklaboratorium bei der BASF und enger Mitarbeiter von Carl Bosch, entwickelt nach umfassenden Forschungsarbeiten einen geeigneten Katalysator aus Eisenoxid mit Anteilen aus Aluminium, Calcium und Kalium.
Damit ist der erste hochdruckfeste und damit betriebssichere Reaktor in der Geschichte der Verfahrenstechnik erfunden und nach fünf Jahren Forschung und Entwicklung, Habers Laborergebnis für eine großtechnische Produktion nutzbar gemacht.
Mit der nach seinen Entwicklern Haber-Bosch-Verfahren genannten Ammoniaksynthese gelingt es erstmals, in riesigen Hochdruckreaktoren den Luftstickstoff mit dem Wasserstoff zu verbinden. Der entstehende Ammoniak wird durch Abkühlung des Gasgemisches verflüssigt und abgetrennt. 1913 beginnt in dem ersten Synthesewerk in Oppau bei Ludwigshafen die Mineraldüngerproduktion. 1914 stehen bereits mehr als 7.000 Tonnen preiswerter Sickstoff-Dünger zur Verfügung.
In der BASF-eigenen Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Limburgerhof lässt Bosch ab 1914 in Freilandversuchen die Grundlagen für die optimalen Mengen, Ausbringungszeitpunkte und Aufteilung der Düngergaben untersuchen, um den Bauern mit dem Dünger auch eine optimale Gebrauchsanweisung mitgeben zu können. Mit dem neuen Kunstdünger werden die Bauern durch amüsante Werbung bekannt gemacht.
Doch dann bricht der erste Weltkrieg aus. Ammoniak wird zu einem kriegswichtigen Rohstoff, denn die aus ihm gewonnene Salpetersäure ist ein Ausgangsprodukt für Sprengstoff. Deren Lieferung sagt die BASF mit dem so genannte „Salpeterversprechen“ zu und stellt die Produktion von Dünger auf Salpeter um, der dann auch in den neu errichteten Leunawerken in großen Mengen produziert wird.
1919 wird Bosch Vorstandsvorsitzender der BASF und nimmt als Sachverständiger der chemischen Industrie an den Friedensverhandlungen in Versailles teil. Dabei gelingt es ihm, die Umsetzung von Plänen zur Zerschlagung der deutschen Chemieindustrie zu verhindern.
Nach Kriegsende ist die Ammoniak- und Salpetersäureproduktion ständig gewachsen. Obwohl die Risiken der Produktion und Lagerung bekannt sind, kommt es am 21. September 1921 zu einer Katastrophe, die 561 Menschen das Leben kostet, als eine gewaltige Explosion Oppau erschüttert und dabei größtenteils zerstört. Selbst im 25 km entfernten Heidelberg deckt die Druckwelle Hausdächer ab. Es ist bis heute die größte Chemiekatastrophe in der Geschichte der BASF.
Der wissenschaftlich vielfältig interessierte Carl Bosch betreibt auf seinem Heidelberger Anwesen eine Privatsternwarte und unterstützt nicht nur den Bau des Einsteinturms in Potsdam, sondern fördert auch die liberale Frankfurter Zeitung und ermöglicht 1933 mit einer namhaften Spende die Gründung des Heidelberger Zoos.
1937 wird Bosch Nachfolger von Max Planck als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Mutig mahnt Bosch bei der Jahresversammlung des Deutschen Museums im Mai 1939, dass Wissenschaft nur frei und ohne Bevormundung gedeihen kann und Wirtschaft und Staat unfehlbar zugrunde gehen, wenn die Wissenschaft in so würgende politische, weltanschauliche und rassistische Beschränkungen gezwungen werde wie unter dem Nationalsozialismus“ (Heft 3 Seite 270 Kultur und Technik 1984). Aus dieser Überzeugung heraus interveniert er auch gegen die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler. Nach mehr als 100 Jahren hat die BASF nun wegen der hohen Energiekosten die Ammoniakproduktion in Ludwigshafen stillgelegt und ins Ausland verlagert.
Das furchtbare Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt Dr. Carl Bosch nicht mehr. Er stirbt am 26. April 1940 im Alter von 66 Jahren in Heidelberg und wird auf dem Bergfriedhof beigesetzt. Carl Bosch erfährt viele Ehrungen. Die bedeutendste ist der Nobelpreis, mit dem er 1931 zusammen mit Friedrich Bergius, einem Schüler von Fritz Haber, für die Erfindung und Entwicklung chemischer Hochdruckverfahren ausgezeichnet wird.
Friedrich Bergius wird am 11. Oktober 1884 als einziger Sohn von Heinrich und Marie Bergius in Breslau im heutigen Polen geboren. Er wächst dort zusammen mit vier Schwestern in einer wohlhabenden und gebildeten Familie auf. Sein Vater besitzt eine chemische Fabrik, in der Bauxit verarbeitet wird. Vor dem Besuch des Realgymnasiums wird Friedrich zu Hause unterrichtet. Nach dem Schulabschluss absolviert er in einem Hüttenwerk ein sechsmonatiges Praktikum, bei dem er seine bereits als Schüler in der väterlichen Fabrik gewonnenen Erfahrungen über chemische wie auch technische Verfahren vertiefen kann.
Im Herbst 1903 beginnt er in Breslau sein Chemiestudium, das er nach einjährigem Militärdienst in Leipzig fortsetzt, wo er 1907 promoviert. Danach arbeitet Dr. Bergius zwei Semester als Assistent bei Walter Nernst (Nobelpreis 1920) am Institut für Physikalische Chemie in Berlin, wo er er den Chemiker Matthias Pier kennenlernt.
1908 heiratet Bergius Margarethe Sachs und wechselt für ein Semester nach Karlsruhe, um bei dem auf dem Gebiet der Hochdruckchemie forschenden Fritz Haber (Nobelpreis 1918) zusätzliche Kenntnisse zu erwerben. Am Institut für physikalische Chemie der Technischen Hochschule Hannover setzt er seine Studien zur Kohleverflüssigung fort. Ein Verfahren zur Produktion von Leuchtgas aus Kohle war in England bereits entwickelt. Damit konnten Straßen und Gebäuden beleuchtet werden. Aber Bergius will Kohle nicht in gasförmige, sondern in flüssige Produkte umwandeln.
Er sieht, dass die zunehmende Motorisierung durch Autoverkehr und Luftfahrt große Mengen an Kraftstoffen erfordern wird, die bereitgestellt werden könnten, wenn es gelänge, die in Deutschland reichlich vorhandene Kohle in Benzin umzuwandeln.
In seinem Labor untersucht er, wie sich ein hoher Druck von 100 bis 200 bar bei gleichzeitig hoher Temperatur von 500 °C auf chemische Reaktionen auswirkt. Dazu muss er, wie auch Carl Bosch, zunächst einen Behälter konstruieren, der sowohl hohem Druck als auch hoher Temperatur standhält und zudem chemisch beständig ist. In dieses Reaktionsgefäß wird die gemahlene und zur besseren Dosierung sowie auch zur Vermeidung einer Staubexplosion mit Schweröl zu einem Brei angereicherte Kohle gepumpt. Schließlich wird noch Wasserstoff in den Reaktionsraum gegeben.
Mit Hilfe metallischer Katalysatoren reagiert der Wasserstoff bei einem Druck von 300 bar und einer Temperatur von 450-500 °C und lagert sich an den Kohlenstoff an. Auf diese Weise wird die Kohle zu Kohlenwasserstoff 2C+2H2→2CH verflüssigt.
1912 habilitiert sich der erst 28 jährige Bergius mit der Arbeit „Anwendung hoher Drucke bei chemischen Vorgängen und die Nachbildung des Entstehungsprozesses der Steinkohle“ und wird Dozent für physikalische Chemie an der Technischen Hochschule Hannover. Nur ein Jahr später meldet Prof. Bergius das Patent über die Produktion von kettenförmigen Kohlenwasserstoffen durch ein Verfahren zur Hydrierung von Kohle, die Kohleverflüssigung an.
Bergius gibt sich jedoch nicht damit zufrieden, sein Verfahren nur im Labor anzuwenden. Die Kohleverflüssigung soll auch im industriellen Maßstab gelingen. Hierzu sind weitere umfangreiche Versuche notwendig, wozu aber seine Mittel nicht ausreichen. Zu Beginn des ersten Weltkriegs gibt Bergius seine Lehrtätigkeit auf und nimmt das Angebot von Dr. Karl Goldschmidt an. Er wird Leiter der Forschungslaboratorien der Firma Theodor Goldschmidt A.G. und verlegt sein Labor in das Essener Werk.
1916 wird er nicht nur stellvertretendes Vorstandsmitglied, sondern ihm wird auch die Leitung der in Mannheim-Rheinau neu eingerichteten Versuchsanlage zur Entwicklung eines großtechnischen Verfahrens der Kohleverflüssigung übertragen.
Bedingt durch den Ersten Weltkrieg drängt die Zeit, und Bergius steht unter dem Druck, schnelle Ergebnisse zu liefern. Daher versucht er, das Verfahren der Kohlehydrierung ohne langwierige Laborarbeit direkt in der industriellen Anwendung zur Serienreife zu entwickeln. Dies gelingt jedoch nicht. Der von Goldschmidt in die Forschung investierte unglaublich hohe Betrag von fünf Millionen Goldmark ist aufgebraucht und der Kaufmann Karl Goldschmidt ist nicht bereit, weitere Mittel bereitzustellen. Sein Glauben an den Erfolg ist ebenso verloren, wie sein Vertrauen in Bergius, dessen Arbeitsverhältnis 1919 endet.
Bald darauf gründet Bergius in Berlin die Deutsche Bergin-AG für Kohle- und Erdölchemie. Doch Kriegsende und einsetzende Hyperinflation machen es ihm unmöglich, das für die Weiterentwicklung der Kohleverflüssigung erforderliche Kapital zu beschaffen. Daher verkauft Bergius seine Patentrechte an der Kohleverflüssigung an die BASF, die sich unter Leitung von Dr. Carl Bosch im Dezember 1925 mit sieben anderen deutschen Chemie-Unternehmen zu den IG Farben zusammenschließt. Dort gelingt es dem Chemiker Matthias Pier schließlich, ein Verfahren zur Kohleverflüssigung im industriellen Maßstab zu entwickeln, das Bergius-Pier-Verfahren. Ab 1927 können die Leunawerke bei Merseburg mit der ersten Hydrierungsanlage jährlich 100.000 Tonnen synthetisches Benzin produzieren.
Bergius ist daran nicht mehr beteiligt. Er zieht mit seiner zweiten Frau Ottilie nach Heidelberg und beschäftigt sich mit einem neuen Forschungsvorhaben: der Gewinnung von Zucker aus Holzcellulose, der Holzverzuckerung. Der große Nahrungs- und Futtermittelmangel zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte ihn schon 1916 zu ersten Forschungen veranlasst, die er ab 1924 in Mannheim-Rheinau wieder aufnimmt. Diese Forschung finanziert er mit einem Großteil des Erlöses aus dem Verkauf der Patentrechte.
Mit einem anderen Teil des Erlöses erwirbt er 1923 in der Heidelberger Albert-Ueberle-Straße 3-5 zwei Jugendstilvillen, die er später durch eine Villa im Stil der "Neuen Sachlichkeit" ersetzt. Zur Einweihungsfeier im Juli 1929 kommen 143 Gästen, darunter Gerhart Hauptmann, Walter Jellinek, Thomas und Golo Mann, Carl Zuckmayer sowie die Minister Gustav Radbruch und Gustav Stresemann. Die Villa wird zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt.
Im seinem Labor erzielt Bergius mit seinem Hydrolyseverfahren erste Ergebnisse. Holz besteht aus Zellulose, dem Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände, dem die Zellwände stützenden Lignin sowie Hemicellulose, einem Gemisch von Polysacchariden, also Vielfachzucker. Bei der Holzverzuckerung wird das zuvor zerkleinerte Holz mit Hilfe einer hochkonzentrierten Salzsäurelösung in Lignin und Zellulose aufgespalten. Das Lignin bleibt als unlöslicher Rückstand zurück, während die Hemicellulose zu Mono- und Disacchariden abgebaut werden kann. Anschließend wird die Salzsäure durch Vakuumdestillation abgeschieden, so dass eine zähflüssige Lösung mit einem Gehalt von 60–70 % Zucker und nur etwa 4 % Salzsäure entsteht.
Das Innovative an Bergius' Verfahren ist nicht die Holzverzuckerung mit Salzsäure selbst, sondern deren vollständige Rückgewinnung, was durch Verdampfung mit Hilfe von heißem Mineralöl erreicht wird. Aber wie schon bei der Kohleverflüssigung bereitet die verfahrenstechnische Umsetzung in einen industriellen Maßstab große Schwierigkeiten. Erst später gelingt es ihm schließlich, aus 100 kg Holz ca. 66 kg Zucker zu gewinnen.
Die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 droht die Fortführung seiner teuren Forschung zu vereiteln. Bergius investiert sein Privatvermögen, nimmt Kredite auf und ist bald pleite.
Nach der Ehrendoktorwürde der Universitäten Heidelberg und Hannover sowie der Liebig-Medaille erfährt Bergius am 10. Dezember 1931 die höchste wissenschaftliche Auszeichnung. Ihm und Carl Bosch wird für ihre Beiträge zur Erfindung und Entwicklung chemischer Hochdruckverfahren der Chemie-Nobelpreis verliehen.
In seiner Dankesrede gesteht Bergius ein, den Zielen seiner Jugend untreu geworden zu sein. „Das Haus, in dem ich meine erste Ausbildung als Chemiker erhielt, das Laboratorium der Universität Breslau, trug in seiner Eingangshalle den Wahlspruch “Suche die Wahrheit und frage nicht, was sie nützt”. Dieser Lehre sei er nur wenige Jahre gefolgt, denn er habe Erkenntnisse gesucht, die der Menschheit nutzen sollten. Weiter schildert er, nach diesen Verrat an der reinen Wissenschaft sei eine Umkehr unmöglich gewesen. „Denn die einmal angefassten Probleme reißen den, der von ihnen besessen ist, immer weiter fort, immer tiefer hinein und verstricken ihn in ihre Bande und in ihren Dienst mit Leib und Seele, mit Hab und Gut, bis die Probleme gelöst sind oder ihr Adept besiegt am Boden liegt.“ (Aus: Nobel Lectures, Chemistry 1922-1941, Elsevier Publishing Company, Amsterdam, 1966). Tatsächlich pfändet ein zur Nobelpreisverleihung angereister Gerichtsvollzieher das Preisgeld des mittellosen Nobelpreisträger.
Erst als sich nach Hitlers Machtergreifung die NS-Regierung für die Forschung von Bergius interessiert und sie mit öffentlichen Geldern fördert, bessert sich seine wirtschaftliche Situation. Mit der Aufnahme der Holzhydrolyse in den Vierjahresplan zur Rohstoffsicherung kann Bergius seine Forschung fortsetzen, und eine Reichsbürgschaft ermöglicht den Ausbau der Holzhydrolyse-Anlage in Mannheim-Rheinau. Bergius profitiert wie die chemische Industrie insgesamt vom wirtschaftlichen Aufschwung, gerät dabei aber immer mehr in die Abhängigkeit eines sich zur Diktatur entwickelnden Staates.
Bei der Volksabstimmung 1934 über die Zusammenlegung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten wirbt Bergius für ein Votum zugunsten Adolf Hitlers. Mitglied der NSDAP wird Friedrich Bergius dennoch nicht. Jedenfalls gibt es in der NSDAP Mitgliederkartei darauf keinen Hinweis.
Vielleicht spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, dass seiner Tochter Renate, dem ältesten seiner drei Kinder, wegen ihrer jüdischen Mutter 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wird und sie 1938 nach England auswandert, wo sie heiratet und später als Kunsthistorikerin sehr erfolgreich wirkt.
Am Ende muss Bergius auch sein Haus in Heidelberg verkaufen. 1942 zieht er nach Berlin und nachdem im September 1944 seine Wohnung durch einen Luftangriff zerstört worden war, nach Österreich. 1947 wandert er nach Argentinien aus und arbeitetet als Berater der argentinischen Regierung. Am 29. März 1949 (laut Auskunft seiner Witwe) stirbt Friedrich Bergius im Alter von 64 Jahren in Buenos Aires und wird auf dem Deutschen Friedhof von Chacarita beigesetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg spielt die Kohleverflüssigung keine Rolle mehr. Aus dem inzwischen reichlich sprudelnden Erdöl hergestellte Kraftstoffe sind erheblich preiswerter. Während der Ölkrise in den 1970er Jahren erinnert man sich zwar wieder an das Verfahren, aber nur China produziert für den eigenen Markt Kraftstoffe aus Kohle.
Richard Kuhn wird am 3. Dezember 1900 in Wien als Sohn des kaiserlich‐königlichen Hofrats Richard Clemens Kuhn, einem Hydraulik-Ingenieur geboren. Bis zu seinem 9. Lebensjahr wird Richard von seiner Mutter Angelika, einer Volksschullehrerin, zu Hause unterrichtet. Ab 1909 besucht er in Döbling das Gymnasium. Einer seiner Mitschüler ist Wolfgang Pauli, der sein bester Freund wird und 1945 den Physik-Nobelpreis für seine Beiträge zur Quantenphysik erhält. Ein Freund der Familie ist Leiter des Instituts für Medizinische Chemie und Richard darf ihm häufig bei der Vorbereitung von Experimenten helfen, wodurch schon früh sein Interesse für Biochemie geweckt wird.
Am Ende des Ersten Weltkriegs wird Kuhn zum österreichischen Heeressignalkorps einge-zogen, was für ihn eine emotional sehr belastende Zeit bedeutet. Nur vier Tage nach seiner Entlassung am 18. November 1918 schreibt er sich an der Universität Wien für das Fach Chemie ein. Aber schon 1919 wechselt er gemeinsam mit seinem Schulfreund Wolfgang Pauli an die Ludwig‐Maximilians‐Universität nach München. Richard Kuhn möchte bei dem international anerkannten Chemiker Richard Willstätter studieren. Willstätter hat 1915 für die Entschlüsselung der Struktur des Chlorophylls den Nobelpreis erhalten.
Zügig schließt Kuhn das Grundstudium ab und erhält 1921 bei Prof. Willstätter eine Doktorandenstelle. Und nur ein Jahr später promoviert Kuhn "summa cum laude" mit einer Arbeit über "Die Spezifität von Enzymen im Kohlenhydrat-Stoffwechsel und der Wirkmechanismus von Amylasen". Das sind Enzyme, die Polysaccharide abbauen.
Kuhn bleibt auf Wunsch seines Professors an der Münchener Universität. Als sich aber im Frühjahr 1924 Hitler wegen des gescheiterten Putsches vom 9. November 1923 in München vor Gericht verantworten muss, nimmt die antisemitischen Stimmung so stark zu, dass der jüdische Professor Willstätter unter Protest seinen Lehrstuhl niederlegt.
Richard Kuhn schließt 1925 seine Habilitation ab und wird auf Empfehlung Willstätters anschließend Privatdozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und ein Jahr später mit kaum 26 Jahren Professor für Allgemeine und Analytische Chemie. Auch nachdem Kuhn in der Schweiz lebt, unterhalten die beiden, sich in gegenseitiger Hochachtung verbundenen Wissenschaftler einen regen Briefwechsel.
In Zürich setzt Kuhn seine Arbeiten auf dem Gebiet der Enzymchemie fort, veröffentlicht 1927 ein Lehrbuch über „Chemie, Physik-Chemie und Biologie der Enzyme“ und beginnt mit der Erforschung von Vitaminen und pflanzlichen Carotinoiden. In einer seiner Vorlesungen begegnet ihm die Schweizer Studentin Daisy Hartmann, die 1928 seine Frau wird und mit der er sechs Kinder hat. Privat ist Richard Kuhn eher schüchtern, zurückhaltend und bescheiden.
Als Wissenschaftler ist der hoch intelligente Kuhn genial: ein hervorragender Lehrer, ein meisterhafter Kenner der wissenschaftlichen Literatur und ein brillanter Theoretiker, der aber auch seine von fast grenzenloser wissenschaftlicher Neugier getriebenen Versuche mit großem Geschick, Präzision und Disziplin durchführt. Daher ist es kein Wunder, dass der junge Wissenschaftler schnell Karriere macht und umworben ist.
Auf Empfehlung von Prof. Willstätter wird Kuhn im Oktober 1929 zum Forschungsdirektor der Abteilung Chemie des auf Betreiben von Ludolf von Krehl neu gegründeten Kaiser‐Wilhelm‐Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg berufen. An der Schnittstelle zwischen klinischer Medizin, Physik und Chemie soll es der Grundlagenforschung dienen. Es ist das erste Institut im Neuenheimer Feld und das erste KWI im süddeutschen Raum.
Otto Meyerhof, dem die Leitung des Physiologischen Instituts übertragen wird, freut sich über seinen neuen Kollegen nicht zuletzt auch deshalb, weil Kuhn über Erfahrung mit der Kohlenhydratchemie und der Beteiligung von Milchsäure im Muskel verfügt, Themen die bei Meyerhofs eigener Forschung eine große Rolle spielen. Die Abteilung für Physik bekleidet Karl-Wilhelm Hausser.
Das KWI bietet Kuhn ein maßgeschneidertes Labor und eine sehr gute finanzielle Ausstattung. Vor allem lässt ihm die Lehrverpflichtung als Professor für Biochemie genügend Zeit für die Forschung. Attraktiv ist zudem, dass beim KWI die Bürokratie auf ein Minimum beschränkt ist.
In seinem neuen Labor beginnt Kuhn sofort mit seinen Assistenten die Struktur und Funktion von Molekülen mit Kohlenstoff-Doppelbindungen, die sogenannten Polyene zu unter-suchen. In der Natur sind Polyene, zu denen beispielsweise die Carotinoiden gehören, weit verbreitet. Diese Moleküle bilden die Grundlage vieler natürlicher Pigmente bei Pflanzen und Tieren. Um die Struktur der Karotinoide untersuchen zu können, muss eine Technik für ihre effektive Reinigung gefunden werden. Nur so ist die Isolierung und reine Herstellung von Substanzen und damit auch eine genaue Struktur- und Funktionsanalyse möglich.
Kuhn erinnert sich an die bereits zwanzig Jahre zuvor von dem russischen Chemiker Michael Tswett erfundene Absorptionschromatographie, ein Filterverfahren, das die Trennung verschiedener Verbindungen oder Moleküle nach Molekülgröße und -gewicht ermöglicht und chemische sowie biologische Proben bis zu einem extrem hohen Grad reinigen kann.
Auch wenn sie von den meisten Chemikern als unwirksam für eine Feinanalyse angesehen wird, beauftragt Kuhn einen seiner jüngsten Assistenten, Edgar Lederer, die Methoden der Chromatographie so zu verbessern, dass sie zur Reinigung von Karotin angewendet werden kann, was diesem nach Erprobung mehrerer Absorptionsmaterialien auch gelingt. Nun kann die Konzentration von Spurenstoffen gemessen und die Homogenität von Substanzen in einer Lösung nachgewiesen werden. Auf diese Weise kann Kuhn mit seinen Assistenten eine große Anzahl natürlicher Karotinoide reinigen und isolieren.
Karotin, ein schon seit mehr als einem Jahrhundert bekanntes Pigment, das unter anderem in Karotten und auch anderen Pflanzen vorkommt, ist ein Baustein des Vitamins A, das der Körper für sein Wachstum, das Nachtsehen und zur Erhaltung der Schleimhäute benötigt.
Bei den Studien spielt auch die von Karl Hausser, Forschungsdirektor der Physik Abteilung eingesetzte Spektroskopie eine wichtige Rolle. Mit den unterschiedlichen Wellenlängen des Lichts können die Lichtabsorptionsspektren der verschiedenen Karotinmoleküle bestimmt werden, was nicht nur die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Moleküle erleichtert, sondern sogar signifikante Unterschiede von optischen Eigenschaften nachweisen kann.
Anfang 1931 gelingt es Kuhn zwei ähnliche, aber dennoch unterschiedliche Formen (Isomere) zu identifizieren. Er nennt sie Beta- und Alpha-Karotin. Zwei Jahre später können das Gamma-Karotin und noch weitere fünf Arten von Karotinoiden nachgewiesen und auch deren Zusammensetzung analysiert werden. Als Hausser 1933 stirbt, wird Walther Bothe sein Nachfolger.
1933 wendet sich Kuhn der Erforschung der B Vitamine zu. Seine Forschungsgruppe reinigt und isoliert in Eiklar wie auch in Milch das Vitamin B2, das Riboflavin, das am Stoffwechsel von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen beteiligt ist. Wie auch Polyene weisen Flavine Doppelbindungen aus, statt mit Kohlenstoff jedoch mit einer Stickstoffanbindung.
Kuhn und seinem Forschungsteam gelingt es Vitamin B6 in Hefe zu isolieren, seine chemische Zusammensetzung und Struktur aufzuklären und schließlich das Vitamin zu synthetisieren. B6 ist ein Co-Enzym, das wie auch das Vitamin B2 für den Stoffwechsel von Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten und damit für das Körperwachstum von großer Bedeutung ist. Ein Mangel an Vitamin B6 ruft Dermatitis, eine entzündliche Reaktion der Haut hervor. Mit Vitamin B6 können somit Hautkrankheiten behandelt werden.
Immer mehr interessiert sich Kuhn auch dafür, wie Vitamine als antibakterielle Wirkstoffe genutzt werden können und arbeitetet an der Entschlüsselung biochemischer Funktionen von Wachstumsfaktoren, um neue antibakterielle Wirkstoffe zu entwickeln.
Im Jahr 1938 wird Kuhn für seine Arbeiten über karotinoide und Vitamine der Nobelpreis für Chemie verliehen. Da die NS-Regierung jedoch deutschen Wissenschaftlern die Annahme des Nobelpreises verbietet, kann er die Nobelmedaille erst zehn Jahre später entgegennehmen. Daneben erhält Kuhn unzählige Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, Medaillen und Preise. Orden und höchsten Auszeichnungen und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften.
Kuhn ist zwar Mitglied des NS-Lehrerbunds, aber kein Mitglied der NSDAP. Dennoch scheint er mit dem Nazi-Regime sympathisiert zu haben. 1936 denunziert er seinen jüdischen Kollegen Otto Fritz Meyerhof bei der Verwaltung der Kaiser‐Wilhelm‐Gesellschaft, nicht‐arische Wissenschaftler zu beschäftigen.
Er arbeitet auch an der Chemiewaffenforschung mit, die 1944 zur Entwicklung des bereits in kleinsten Mengen tödlichen Nervengases Soman führt. Zudem ist er über Menschenversuche der Nationalsozialisten informiert. Am 10. Dezember 1943 schreibt er zu einem angeblichen Tuberkulose-Heilmittel: „Es sind auch schon Versuche am Menschen in einer Lungenheilanstalt bei Darmstadt in Angriff genommen worden“.
Nach dem Zweiten Weltkriegs lehrt er zunächst in den Vereinigten Staaten, kehrt aber 1953 nach Heidelberg zurück an sein Institut, das bald in Max-Planck-Institut für medizinische Forschung umbenannt wird und ist erneut dessen Direktor. Dort erforscht und identifiziert er gegen Infektionen wirksame "Resistenz"-Faktoren, wie zum Beispiel aus Muttermilch isolierte Oligosaccharide (Mehrfachzucker). Er erkennt Lactaminyl-Oligosaccharide als Rezeptor für das Influenzavirus und kann damit die virushemmende Wirkung der menschlichen Milch erklären.
Richard Kuhn stirbt am 31.07.1967 in Heidelberg an Krebs und wird auf dem Bergfriedhof beigesetzt. Carl Bosch sagte einmal "Wenn Sie zwischen einem Genie und einem Charakter zu wählen haben, vergessen Sie das Genie."
Stefan Hell wird am 23. Dezember 1962 in Arad in Rumänien geboren. Seine Eltern, ein Ingenieur und eine Grundschullehrerin, stammen von Banater Schwaben ab und sprechen Deutsch als Muttersprache. Er verbringt seine Kindheit in dem bei Arad gelegenen Dorf Sântana, auf deutsch Sankt Anna und besucht dort die deutsche Schule. Seine Eltern legen größten Wert auf Bildung und fördern ihren wissbegierigen Sohn. Er hat auch das Glück, von sehr engagierten Lehrern unterrichtet zu werden.
Nach der achten Klasse kann Stefan 1977 auf das deutschsprachige Nikolaus-Lenau-Lyzeum in Temeswar wechseln, eines der besten Gymnasien des Landes mit Schwerpunkt in Mathematik und Physik. Aber die Lebensbedingungen werden im kommunistischen Rumänien unter Ceausescus Diktatur immer problematischer, vor allem für Menschen mit deutscher oder jüdischer Herkunft.
Als seine Mutter schwer erkrankt, stellt die Familie einen Antrag auf ein Ausreisevisum und darf nach vielen Schwierigkeiten schließlich zwei Jahre später Rumänien verlassen. Ihr neues Zuhause wird Ludwigshafen. Dort besucht der inzwischen fünfzehnjährige Stefan das Carl-Bosch-Gymnasium. Während er in Englisch einen großen Nachholbedarf hat, ist er in den Naturwissenschaften, aber auch in Deutsch Klassenbester.
1981 beginnt Stefan Hell an der Universität Heidelberg das Studium der Physik, das er mit dem Diplom abschließt. Danach arbeitetet er kurze Zeit für „Heidelberg Instruments GmbH“, ein von seinem Professor zur Entwicklung optischer Laser-Scanning-Systeme gegründetes Unternehmen. Hier lernt er einen Biologie-Doktoranden kennen, der ihn mit der Fluoreszenzbildgebung in der Biologie vertraut macht.
In seiner Dissertation zum Thema „Bildgebung transparenter Mikrostrukturen in der konfokalen Mikroskopie“ beschäftigt sich Hell mit der Lichtmikroskopie und stellt Überlegungen darüber an, ob und wie sich die Beugungsgrenze bei optischen Mikroskopen überwinden lasse.
Das Lichtmikroskop ist seit dem 17. Jahrhundert ein wichtiges Untersuchungsinstrument. Es wirkt wie eine aus zwei Linsen zusammengesetzte Lupe, bei der das vom Objektiv erzeugte Bild vom Okular nochmals vergrößer wird. Wenn man bestimmte Strukturen eines Objektes näher betrachten möchte, markiert man diese mit fluoreszierender Farbe, die von einer Lichtquelle zum Leuchten angeregt wird.
Dabei wird das Bild jedoch durch entstehendes Streulicht unscharf. Mit einem Konfokal-Mikroskop lässt sich das Streulicht ausblenden, indem es von einer Lochblende aus dem Floureszenslicht herausgefiltert und umgelenkt wird. Nun sind die markierten Strukturen deutlicher sichtbar.
Dennoch erlaubt ein Lichtmikroskop nur eine höchstens eintausendfache Vergrößerung. Das liegt in der Wellennatur des Lichts begründet, genauer gesagt in der Beugung der Lichtwellen an Gegenständen von der Größe der Lichtwellenlänge. Trifft z.B. eine Welle auf einen Spalt, wird sie dort gebeugt und breitet sich dahinter halbkreisförmig aus. Je näher Objekte beieinander liegen, desto stärker wird das Licht gebeugt. Dadurch wird das so genannte Auflösungsvermögen optischer Geräte begrenzt. Zwei benachbarte Objekte können nicht mehr getrennt wahrgenommen, wenn sie weniger 200 Nanometer -rund eine halbe Lichtwellenlänge-. auseinanderliegen. Diese physikalische Grenze hatte der Physiker Ernst Abbe im Jahre 1873 formuliert.
Als Stefan Hell im Sommer 1990 seine Promotion abschließt, ist er zu der Überzeugung gelangt, dass es möglich sein müsse, die durch die Beugung gesetzten Grenzen der Auflösung zu überwinden und auf diese Weise ein hochauflösendes optisches Mikroskop zu entwickeln.
Warum ist dies ihm so wichtig? Es gibt doch schon Mikroskope mit einer solch hohen Auflösung, dass selbst von kleinsten Objekten wie Viren oder Molekülen beeindruckend scharfe Bilder entstehen, wie das 1937 von Manfred von Ardenne erfundene Raster-elektronenmikroskop. Dieses kann aber nur zuvor in hauchdünne Scheiben geschnittene Präparate untersuchen, nicht aber lebende Zellen mit ihren unzähligen Molekülen. Das kann nur ein Lichtmikroskop.
Dank eines Postdoc-Stipendiums kann Hell am Europäischen Labor für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg weiter an diesem Ziel arbeiten und findet die Grundlage für ein "4Pi" genanntes Mikroskop. Dieses überlagert mithilfe zweier gegenläufig auf einen Punkt gerichteter Objektive das Licht im Fokus und verkürzt den länglichen Brennfleck annähernd zu einer Kugel. Damit gelingt es zwar, die Bildschärfe entlang der optischen Achse des Mikroskops um bis zu das siebenfache zu steigern, nicht aber die Beugungsbarriere zu umgehen.
Als sein Stipendium im Frühjahr 1993 ausläuft, braucht Hell neue Forschungsmittel, die er jedoch in Deutschland nicht erhält. Auf Empfehlung eines finnischen Kollegen vom EMBL lernt er Professor Erkki Soini von der Universität Turku kennen, der Fluoreszenzverfahren für die medizinische Diagnostik erprobt. Mit seiner Unterstützung reicht Hell bei der Akademie von Finnland einen Forschungsantrag zur 4Pi-Mikroskopie ein. Diese bewilligt die Fördermittel, aber nur unter der Bedingung, dass Hell in Turku forscht. So zieht er im Sommer 1993 nach Turku, wo er in der Abteilung für Medizinische Physik der Universität als Gruppenleiter eingestellt wird.
Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung der Beugungsgrenze, stößt er auf das Phänomen der „stimulierten Emission“, mit der zum Leuchten angeregte Moleküle vorübergehend ausgeschaltet werden können. Dr. Hell ist sofort klar, dass er nun den richtigen Ansatz gefunden hat. Strukturdetails benachbarter Objekte können durch ihren Molekülzustand unterscheidbar gemacht werden.
Auf dem Papier funktioniert das Konzept der stimulierten Emissionslöschung, und erste Experimente stimmen Hell zuversichtlich, dass sich auf diese Weise das Auflösungsvermögen eines Fluoreszenzmikroskops auf mindestens 30 Nanometer steigern lassen kann.
Aber schnell neigen sich die drei Jahre in Finnland ihrem Ende zu und damit auch das Stipendium der Finnischen Akademie. Hell kehrt 1996 nach Heidelberg zurück, wo er sich sich in Physik habilitiert.
Beim Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen wird Hell 1997 Leiter einer auf fünf Jahre befristeten Nachwuchsgruppe. Im gleichen Jahr lernt er in Göttingen Anna, eine Kinderorthopädin kennen, die er 2000 heiratet.
Ein großzügiges Budget erlaubt es ihm, mehrere Forschungsgruppen einzurichten: Physiker für Fragen auf dem Gebiet der Optik, Chemiker zur Entwicklung geeigneter Farbstoffe und Biologen, welche sich mit den Anwendungen befassen. 2000 hat Hell mit seiner Nachwuchsgruppe schließlich das STED-Verfahren (Stimulated Emission Depletion) Stimulierte Emissionslöschung entwickelt und kann auch nachweisen, dass es tatsächlich zehn Mal schärfere Bilder liefert, als die bis dahin verfügbaren Lichtmikroskope.
Bei der STED-Mikroskopie werden zunächst vorher definierte Bereiche eines Präparats mit speziellen Fluoreszenzfarbstoffen markiert. Dann regt ein spezieller Laserstrahl diese Moleküle dazu an, selbst zu Leuchten. Da aber näher als 200 nm beieinander liegende Strukturen alle gleichzeitig leuchten, verschwimmen sie. Wie zum Beispiel das Licht vieler gleichzeitig eng nebeneinander leuchtender Taschenlampen, die anderen Bildinformationen überstrahlt.
Diese leuchtenden Moleküle werden mit einem zweiten ringförmigen, einem Donut ähnlichen Ausschaltestrahl überlagert, sodass nur noch die Moleküle in der Lochmitte leuchten können. Durch Abrastern wird dann ein Bild erstellt. So können die Moleküle ihre Fluoreszenz zeitlich nacheinander abgeben und werden auf diese Weise getrennt voneinander wahrnehmbar. Da die Trennung der Moleküle nun über Zustände der Moleküle erfolgt und nicht mehr über Lichtwellen, ist die Detailschärfe fortan nicht mehr durch die Beugung des Lichts begrenzt.
Aber die Fachwelt bleibt skeptisch und hält es für unmöglich, dass die Beugungsgrenze umgangen werden kann. Angesehene Wissenschaftsmagazine veröffentlichen die Forschungsergebnisse nicht. Wieder muss sich Hell nach einem neuen Job und die nötigen Mittel für seine Forschung umsehen. Doch nun erhält er eine ganze Reihe interessanter Angebote, die er jedoch ablehnt, da die Max-Planck-Gesellschaft ihn 2002 bittet, als Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen zu bleiben, was er gerne annimmt. Nach vielen Jahren, in denen er seine Forschung nur durch Stipendien finanzierte und nicht wusste, ob er sie im folgenden Jahr fortsetzen kann, ist er endlich angekommen.
Ab 2003 leitetet er am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine Forschungsgruppe, die Möglichkeiten zur Anwendung neuester Entwicklungen in der Mikroskopie für die Krebsforschung untersucht. Seiner Mutter kann er nicht mehr helfen; sie stirbt 2004 in Ludwigshafen an Krebs. Inzwischen haben die hochauflösenden Mikroskope besonders in der Krebsforschung eine große Bedeutung gewonnen. Man kann mit ihnen beobachten, wie Krebszellen untereinander und auch mit gesunden Zellen kommunizieren. Bereits 2006 ist das erste kommerzielle STED-Mikroskop entwickelt, das Ärzten wie auch Biologen bei der Suche nach molekularen Ursachen von Krankheiten hilft.
Im Jahr 2014 wird dem Physiker Stefan Hell für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie zusammen mit den Amerikanern Eric Betzig und William Moerner der Nobelpreis für Chemie verliehen. Zwar ist die STED-Mikroskopie eine Innovation aus der Optik, einem Teilgebiet der Physik, gleichzeitig aber auch eine der Chemie-Kategorie zuzuordnende Innovation, da sie Moleküle zwischen zwei verschiedenen Zuständen an- und ausschaltet und dazu spezielle Farbstoffe verwendet. Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigt mit dem Nobelpreis, dass die STED-Mikroskopie Einblicke in die Abläufe lebender Zellen ermöglicht, die vorher nicht denkbar waren.
Doch Prof. Hell ruht sich auf diesen Erfolgen nicht aus, sondern entwickelt das Potential des STED-Prinzips weiter zu einer neuen, MINSTED genannten Lichtmikroskopie-Methode. Wo die STED-Mikroskopie noch eine Trennschärfe von bis zu 20 bis 30 Nanometern, also 20 bis 30 millionstel Millimetern erreicht, kann MINSTED sogar unmittelbar benachbarte Strukturen nanometergenau darstellen, indem immer nur ein Molekül zum Leuchten angeregt und mit einem elektronisch gesteuerten sogenannten STED-Donutstrahl einzeln geortet wird. Donutstrahl genannt, weil sich wie bei einem Donut in der Mitte des Strahls ein Loch befindet. Das Verfahren wird so lange wiederholt bis die Position aller Moleküle erfasst ist und daraus ein Bild berechnet werden kann.
Da die neuen Lichtmikroskope Strukturen bis zu 2000-mal feiner als ein menschliches Haar sichtbar machen, bieten sie ein immenses Anwendungsgebiet. Sie erlauben Einblicke in DNA-Stränge, in die Anordnung von Proteinen in den Zellen, die Entschlüsselung der Chromosenverteilung in Bakterien, die Beobachtung von Wechselwirkungen zwischen Viren und Zellen im Körper und auch, wie sich bei Alzheimer oder Parkinson Eiweiße zusammenklumpen. Es ist sogar möglich, 3D Videos von molekularen Bewegungen aufzunehmen. So hilft MINSTED, Krankheiten zu erforschen und neue Medikamente zu entwickeln.
Jacques Dubochet wird am 8. Juni 1942 in der kleinen Stadt Aigle, im Schweizer Kanton Waadt als drittes von vier Kindern des Bauingenieurs Jean-Emmanuel Dubochet und seiner Frau Liliane geboren. Bis zum Umzug seiner Familie nach Sion und danach in die Großstadt Lausanne verbringt er seine Kindheit in einem kleinen Walliser Dorf.
Mit 12 Jahren besteht Jacques die Aufnahmeprüfung am Collège du Belvédère. Er hat das Bedürfnis, die Dinge zu verstehen und interessiert sich daher schon früh für Naturwissenschaften. Im Werkunterricht baut er sogar eigene Teleskope. Trotzdem ist empfindet er die Schulzeit als schrecklich. Er leidet unter Legasthenie und den dadurch bedingten schlechten Noten. Als sich seine Leistungen in allen Fächern stetig verschlechtern, muss er schließlich im Alter von sechzehn Jahren sogar die Schule verlassen. Eine wissenschaftliche Karriere scheint ihm nicht bestimmt zu sein.
Doch seine Eltern glauben an ihn und schicken ihn 1958 auf die Kantonsschule in Trogen im Kanton Appenzell und ab 1960 auf ein Privatgymnasium in Lausanne, wo er sich auf die Aufnahmeprüfung für die Universität vorbereiten soll. Jacques schafft es, den versäumten Lernstoff in kurzer Zeit nachzuholen und besteht 1962 das eidgenössische Abitur.
Dubochet leistet seinen Wehrdienst ab und beginnt danach ein Physikstudium an der École polytechnique de l'Université de Lausanne, wo schon sein Vater studiert hatte. Sein Ziel ist es, die Welt zu verstehen, vor allem die Welt der Lebewesen. Bis auf die Mathematik macht ihm das Studium, das er 1967 als Physikingenieur abschließt, große Freude. Danach widmet er sich an der Universität Genf der Erforschung der DNA mit der Elektronenmikroskopie, was später zu seinem Fachgebiet wird. 1969 erwirbt er auch einen Abschluss in Molekularbiologie.
Er bleibt in Genf, um bei Eduard Kellenberger, einem der bedeutendsten Schweizer Molekularbiologen zu promovieren. Kellenberger wird 1970 als ordentlicher Professor für Mikrobiologie an die Universität Basel berufen, und Dubochet folgt ihm dorthin.
Wenngleich ihm die Arbeit im Labor kaum Zeit lässt, engagiert er sich in Basel auch für den Umweltschutz. 1973 promoviert er mit einer Dissertation zur Dunkelfeld-Elektronenmikroskopie. Darin kommt er allerdings zu dem Ergebnis, dass diese für Beobachtungen in der Biologie ungeeignet sei. Nach der Promotion bleibt Dubochet am Biozentrum der Universität Basel und arbeitet mit seinem Doktorvater zusammen. Er hat von ihm nicht nur die Biophysik gelernt, sondern auch seine ethische Verantwortung als Wissenschaftler übernommen. Eine lebenslange Freundschaft verbindet die beiden Forscher.
1978 heiratet Jacques Dubochet die Kunsttherapeutin Christine Wiemken, die er bereits als Doktorand in Basel auf einer Party kennengelernt hatte. Im gleichen Jahr wird er als Forschungsgruppenleiter an das neu gegründete Europäische Laboratorium für (32) Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg berufen und zieht mit seiner Frau in ein kleines Dorf südlich von Heidelberg. In Heidelberg werden Sohn Gilles und Tochter Lucy geboren.
Das in einem Wald oberhalb der Stadt Heidelberg gelegene Europäische Laboratorium für Molekularbiologie, das heute zu den bekanntesten biologischen Forschungslabors der Welt zählt, wird von John Kendrew, dessen erstem Generaldirektor geleitet und bietet jungen Forschern die bestmöglichen Arbeitsbedingungen. Dubochets Forschungsgruppe hat den Auftrag, zur Entwickelung der Kryo-Elektronenmikroskopie beizutragen. Zum Verständnis biochemischer Vorgänge sind bildhafte Darstellungen der an den Vorgängen beteiligten Moleküle zwingend erforderlich. Lichtmikroskope sind wegen ihres viel zu geringen Auflösungsvermögens zur Untersuchung kleinster Strukturen nicht geeignet. Auch wenn man bereits seit 1933 mit den Elektronenmikroskopen von Ernst Ruska, Max Knoll und Ernst Brüche Zellen im Nanometermaßstab betrachten kann, ist die detaillierte Darstellung von Biomolekülen nicht möglich. Elektronenmikroskope "beleuchten" die Objekte mit Elektronenstrahlen. Beobachtet werden die Elektronen, die das Objekt "durchstrahlen" (Transmissions-Elektronenmikroskopie) oder aber -wie bei der gewöhnlichen optischen Auflichtmikroskopie- reflektieren. Im Gegensatz zur Lichtmikroskopie ergeben sich bei der Elektronenmikroskopie starke Einschränkungen. Da sich die Elektronen im Gegensatz zu Photonen, den "Lichtteilchen" nicht durch Luft bewegen können, müssen die Proben im Vakuum untersucht werden. Dort trocknen aber die wasserhaltigen biologischen Präparate sofort aus und werden durch den energiereichen Elektronenstrahl verbrannt. Abhilfe schafft die Kühlung der zu untersuchenden Proben auf sehr tiefe Temperaturen. Beim "normalen" Herunterkühlen bilden sich jedoch Eiskristalle, welche die Struktur der zu untersuchenden Moleküle beschädigen. Auch verhindert die Streuung der Elektronenstrahlen an den Eiskristallen eine brauchbare Abbildung.
Am EMBL entwickelt Dubochet mit seiner Forschungsgruppe nun eine Methode, mit welcher die Proben so extrem schnell abgekühlt werden, dass das Wasser um die Moleküle herum in einen glasartigen Zustand übergeht wobei sich keine Eiskristallen bilden. Mit der Verglasung, der Vitrifikation können Biomoleküle nahezu im Originalzustand untersucht werden.
Bei diesem Verfahren wird die Probe als dünner Film auf ein Metallgitter aufgetragen und während der Messungen im Elektronenmikroskop mit flüssigem Stickstoff auf eine Temperatur von Minus 196 °C heruntergekühlt. Dabei erstarrt das Wasser in der Probe zu Glas, ohne dass Eiskristalle entstehen. Mit Hilfe einer von Joachim Frank entwickelten Bildverarbeitungsmethode werden die Informationen aus Tausenden unscharfer zweidimensionaler Bilder zu einer hochauflösenden dreidimensionalen Struktur zusammengesetzt und so kleinste Biomoleküle sichtbar gemacht.
Auch wenn sich Dubochet in Heidelberg wohl fühlt, kehrt er 1987 in die Schweiz zurück und nimmt eine Professur an. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 leitet er an der Universität Lausanne das Zentrum für Elektronenmikroskopie und bleibt auch danach als Honorarprofessor an der Universität Lausanne, wo er noch immer ein Büro hat.
2017 wird Dubochet gemeinsam mit seinen Kollegen Joachim Frank aus den USA und Richard Henderson aus Großbritannien "für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikros-kopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung von Biomolekülen in Lösung" mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie können heute unterschiedlichste Proteine und Organismen dargestellt und sogar Biomoleküle mitten in einer Bewegung eingefroren und in atomarer Auflösung porträtiert werden. Dadurch weiß man nun, wie Antibiotikaresistenz verursachende Proteine oder das Zika-Virus beschaffen sind und gewinnt wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung von Arzneimitteln. Nur wenige Wochen nach seiner Gründung kann das Dubochet Center for Imaging (DCI) Ende 2021 zur Entschlüsselung der Omikron-Variante des COVID 19-Virus beitragen.
Seit seiner Studentenzeit setzt sich Dubochet für den Umweltschutz ein und engagiert sich bis 2011 auch als Gemeinderat seiner am Genfer See gelegenen Heimatstadt Morges. „Sobald ich den Mund öffne und mich zu irgendeinem Thema äußere, hört man mir zu, weil ich ein Nobelpreisträger bin“, meint Dubochet und nutzt dies, um auf ihm wichtige Themen wie insbesondere die Bekämpfung des Klimawandels aufmerksam zu machen.