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Drehstromantrieb für Lokomotiven 1970

Werner Teich

Drehstromantrieb für Lokomotiven 1970

Um heute die Bahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel nutzen zu können, bedurfte es vieler Innovationen.

Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Lokomotiven mit Dampf angetrieben und die Straßenbahnen von Pferden gezogen. Erst das von Werner von Siemens am 17. Januar 1867 bei der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgestellte "dynamo-elektrische Prinzip" ermöglicht die Stromerzeugung. In einem Generator erzeugt das Restmagnetfeld von Eisenkernen zunächst eine kleine Spannung und einen geringen Strom, mit dem sich das Magnetfeld verstärken lässt, das nun immer höhere Spannungen erzeugen kann. Bald beginnt man, den elektrischen Motor auch im Verkehr einzusetzen, wobei die ersten elektromechanischen Energiewandler Gleichstrommaschinen waren. 

Die erste elektrische Lokomotive der Welt führt Werner von Siemens am 31. Mai 1879 auf der Berliner Gewerbeausstellung vor. Die Lok erhält über die beiden Fahrschienen Gleichstrom mit einer Spannung von 150 Volt. Die kleine Lok erreicht eine Leistung von 2,2 Kilowatt und zieht mit einer Geschwindigkeit von etwa sieben Kilometern pro Stunde drei offene, mit jeweils sechs Personen besetzte offene Wagen auf einem 300 m langen Rundkurs durch das Ausstellungsgelände.

Schon im Mai 1881 verkehrt in Berlin die erste elektrische Straßenbahn. Weil die Lok jedoch über die Schienen mit Strom versorgt wird, führt dies immer wieder zu Betriebsstörungen und sogar tödlichen Unfällen. Mit dem von dem Ingenieur Walter Reichel 1889 bei Siemens & Halske entwickelten Stromabnehmer kann der Strom von einer oberhalb der Schienen montierten Leitung sicher übertragen werden. Die Schienen dienen nun als Rückleitung und sind geerdet.

Bei größeren Entfernungen stößt Gleichstrom wegen seiner damals relativ geringen Spannung jedoch an seine Grenzen. Auf der Suche nach einem besser geeigneten Bahnstromsystem werden Einphasen-Wechselstrom und auch der als "Drehstrom" bezeichnete dreiphasige, aus drei getrennten Wechselströmen bestehende Wechselstrom entwickelt. Wechselstrom lässt sich vergleichsweise einfach auf hohe Spannungen transformieren.

Am 25. August 1891 wird auf der durch den Odenwald führenden Strecke von Lauffen bis nach Frankfurt erstmals elektrische Energie mit hochgespanntem Drehstrom übertragen. Und schon 1895 beginnen im Tessin Charles Eugene Lancelot Brown und Walter Boveri, von der von ihnen 1891 gegründeten Brown, Boveri & Cie. die ersten Drehstrom-Lokomotiven zu erproben. 1899 kann die erste mit Drehstrom angetriebene Lokomotive auf der 41 Kilometer langen Strecke von Burgdorf nach Thun ihren Betrieb aufnehmen. Von da an kann Drehstrom mit fester Spannung und Frequenz zum Antrieb von Schienenfahrzeugen genutzt werden.  1903 erreicht ein Siemens Drehstromtriebwagen mit zwei dreipoligen Stromabnehmern die sensationelle Geschwindigkeit von 209 km.

Doch mit der 1905 auf der 23 km langen Strecke von Murnau nach Oberammergau in Betrieb genommenen ersten Einphasenwechselstrom-Lokomotive LAG 1 setzt sich der Einphasenwechselstrom durch. Ein Stufentransformator variiert die an den Fahrmotor abzugebende Spannung und regelt auf diese Weise Zugkraft und Geschwindigkeit.Diese Technik erfordert allerdings für schwere Güterzüge oder schnelle Personenzüge jeweils den Bau eigener Lokomotiven.

Bis das Ziel erreicht werden kann, die zugeführte elektrische Energie in der Lokomotive selbst umzuformen und dabei die Motorleistung direkt durch variable Spannung und variable Frequenz zu regeln, vergehen noch Jahrzehnte. Auch Anfang der 1950er Jahre lässt sich der Wunsch nach einer universell einsetzbaren Lokomotive noch nicht erfüllen und die Deutsche Bahn muss weiterhin sowohl Schnellzuglokomotive (E10) als auch Güterzuglokomotive (E40/E50) einsetzen.

In den 70ger Jahren bereichert BBC die Bahngeschichte mit einer bedeutenden Innovation. Ein Team um Werner Teich nimmt sich in Mannheim der Entwicklung einer Universallok an.

Werner Teich wird am 16.12.1932 in dem kleinen Ort Jurgaitschen nahe Tilsit in Ostpreußen geboren.  Sein Vater ist Landarbeiter, und seine Mutter Herrenschneiderin. Kurz nach seiner Geburt stirbt der Vater an Tuberkulose, und die Mutter muss Werner und seinen älteren Bruder Karl Heinz alleine großziehen.

Noch bevor im Januar 1945 der Sturm der roten Armee auf Ostpreußen beginnt und eine grauenvolle, unzählige Menschen den Tod bringende Massenflucht auslöst, verlässt die kleine Familie ihre Heimat und erreicht das fast 900 km entfernte Annaberg im Erzgebirge. Von dort aus geht es weiter nach Hagenow in Mecklenburg.

Werner kann nun wieder eine Schule besuchen. Nach einer Lehre in Elektromaschinenbau beginnt er 1951 in Dresden Maschinenbau- und Elektrotechnik zu studieren. Anschließend arbeitet er von 1954 bis 1956 als Gruppenleiter bei der Reichsbahn.

Nach einer Auseinandersetzung mit dem SED-Parteisekretär des Bahnbetriebswerkes Hagenow flieht er noch in der gleichen Nacht mit einer Dampflok der Reichsbahn aus der DDR nach West-Berlin. Am 30. September 1956 fliegt er nach Frankfurt und beginnt schon am nächsten Tag bei BBC in Mannheim-Käfertal als Entwicklungs- und Projektingenieur für Steuerungen von Bahnfahrzeugen zu arbeiten.

Nachdem 1954 Siemens & Halske die Herstellung von hochreinem Silicium gelingt, stehen der Leistungselektronik vielseitig verwendbare Halbleiter zur Verfügung und eröffnet damit auch beim Bau von Diesellokomotiven neue Möglichkeiten für eine wirtschaftliche elektrische Kraftübertragung.

Mitte der 1960er Jahre beginnt Teich, inzwischen zum Abteilungsleiter aufgestiegen, mit seinem Team einen modernen Drehstromantrieb für Lokomotive zu entwickeln. Da diese Aufgabe kein offizielles Forschungsprojekt des Konzerns ist, muss er erst einmal mit viel Überzeugungsarbeit für die notwendigen Mittel sorgen.

Das Ziel ist, mit einem Dieselmotor im Fahrzeug selbst den zur Speisung des Drehstrom-motors erforderlichen Strom zu erzeugen und mit einem Frequenzumrichter die Frequenz und Spannung des Stroms so variabel anzupassen, dass sich die Drehzahl des Motors präzise und stufenlos steuern lässt. Dies hat auch den Vorteil, dass der Motor nur mit der tatsächlich benötigten Geschwindigkeit läuft und so Energie spart. Auch reduziert der weiche Start und Stopp die mechanische Belastungen und verlängert die Lebensdauer des Motors.

Im Juni 1969 stellt BBC in Mannheim die Anwendung von Frequenzumrichtern bei Diesellokomotiven und elektrischen Triebfahrzeugen vor.

Erste Erfahrungen mit der Drehstrom-Antriebstechnik werden bei Versuchen mit drei von Henschel in Kassel gebauten und von BBC in Mannheim elektrisch ausgerüsteten Diesellokomotiven der Baureihe DE 2500 gewonnen.  Die Loks haben Drehstrom-Asynchron-Fahrmotoren, welche durch einen von einem Dieselmotor angetriebenen Drehstromgenerator gespeist werden. Von den Eisenbahnern wird die Lok mit dem weißen Anstrich in Anlehnung an ein damals bekanntes Waschmittel scherzhaft „Weißer Riese“ getauft und die blaue Lok „Blauer Bock“, wohl nach einer damals beliebten Fernsehsendung. Und es gibt auch einen „Roten Ochsen“. Alle drei Loks sind erhalten geblieben. Der „Blaue Bock“ kann heute im Mannheimer Technoseum bewundert werden.

Schon 1971 wird die weltweit erste Lokomotive mit der völlig neuartigen elektrischen Ausrüstung auf der Hannovermesse vorgestellt und anschließend eingehend getestet.

Beim nächsten Entwicklungsschritt wird untersucht, ob der Strom nicht direkt aus der Fahrleitung entnommen werden kann, anstatt ihn an Bord mit Dieselmotor und Generator zu erzeugen. Dazu wird die „Weißer Riese-Lok“ für einen elektrischen Betrieb umgerüstet.  Hierzu wird der Dieselmotor ausgebaut und ein mit Stromabnehmer, Transformator und den erforderlichen Messeinrichtungen versehener Steuerwagen mit der Lokomotive verbunden und so eine Drehstrom-Elektrolok simuliert. Der von Teich und seinem Team entwickelte Umrichter wandelt den Strom des Fahrdrahts in der Lok zu Drehstrom, dessen drei um 120 Grad zueinander versetzte Phasen für eine konstante und gleichmäßige Energieübertragung sorgen.

Die 1974 beginnenden Versuche mit dem Gespann zeigen nicht nur die grundsätzliche Eignung der neuen Technik, sondern auch, dass mit ihr geringere Wartungskosten und Standzeiten realisierbar sind. 

Der erste Drehstrommotor mit 1,4 Megawatt Dauerleistung erfüllt 1976 auf dem Prüfstand bei BBC alle Erwartungen. Er ist trotz seiner hohen Leistungsfähigkeit klein, wartungsarm und leicht, wodurch sich das Gesamtgewicht der Drehgestelle vermindern und der Verschleiß an Gleis und Weichen deutlich senken lässt. Zudem begünstigt der Drehstrommotor im Güterzugverkehr das Anfahren bei hohen Belastungen, was das Durchdrehen der Antriebsräder verhindert.

Im Mai 1979 wird die erste Lokomotive mit Drehstromantriebstechnik an die Deutsche Bundesbahn ausgeliefert. Sie ist zunächst für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h zugelassen und ab 1980 für 200 km/h. Beim elektrischen Bremsen kann sie Energie in die Oberleitung zurückspeisen. Sie gilt als die weltweit erste seriell gebaute Drehstrom-Lokomotive im Hochleistungsbereich und ist die erste Universallok, die sowohl schnelle ICEs als auch schwere Güterzüge bewegen kann. Damit ist der lange bestehende Wunsch, für alle Züge ein- und dieselbe Lok verwenden zu können, endlich in Erfüllung gegangen. Sie stellt einen Meilenstein in der Entwicklung elektrischer Lokomotiven dar. Bald werden die erfolgreichen Loks auch in die Niederlande sowie nach Österreich, Dänemark und Norwegen verkauft.

Der Drehstromantrieb ermöglicht Mitte der 1980er Jahre die Entwicklung der ICE-Triebköpfe und ist heute weltweit bei allen elektrisch angetriebenen Schienenfahrzeugen Standard.

1982 wird Werner Teich zusammen mit seinen Ingenieurs-Kollegen Jörg Brenneisen, Ehrhard Futterlieb, Joachim Körber, Edmund Müller, G. Reiner Nill, Manfred Schulz und Herbert Stemmler in Baltimore / USA mit dem Elmer A. Sperry Award ausgezeichnet. Sie sind die ersten Ausländer, welche den seit 1955 verliehenen Preis für eine bedeutende Ingenieursleistung im Transportwesen erhalten.

Auch nachdem Werner Teich (18) als Marketingdirektor im Bereich Verkehr von BBC in den Ruhestand verabschiedet wird, bleibt sein Fachwissen weiter gefragt. Er engagiert sich auch in Großsachsen, wo er eine Heimat gefunden hat und widmet der Stadt das Buch „Liebe zu Großsachsen“.

Am 11.08.2000 überreicht ihm Bürgermeister Werner Oehldorf in einer Feierstunde das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Nach langer Krankheit stirbt Werner Teich am 26. Dezember 2010 nur wenige Tage nach seinem 78. Geburtstag.

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