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1832/1848 Wege zur Demokratie

Die Befreiungskriege beenden Napoleons Herrschaft. Auf dem Wiener Kongress von 1814/15 wird der Absolutismus wieder hergestellt und die deutschen Staaten neu geordnet. Die Rheinpfalz fällt an das Königreich Bayern, das die vom Code civil gewährten Bürgerrechte stark einschränkt und hohe Zölle und Steuern verlangt. Der mit Napoleons Stieftochter Stephanie de Beauharnais verheiratete badische Großherzog Karl schenkt seinem Volk dagegen am 29. August 1818 eine bürgerliche Rechte gewährende Verfassung.

Philipp Siebenpfeiffer, Johann Georg Wirth, Friedrich Hecker, Gustav Struve

Unter Napoleon Bonaparte erobert Frankreich große Teile Europas. Nach dem Frieden von Lunéville im Februar 1801 gehört auch die Pfalz zur französischen Republik. Die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit halten Einzug, und der Code civil garantiert den Pfälzern persönliche Freiheit, privates Eigentum, Gleichheit vor dem Gesetz, die Zivilehe und auch eine Scheidung. Die Gerichtsverfahren sind nun öffentlich, die Richter unabhängig, und in Strafverfahren urteilen Geschworene.

Die Befreiungskriege gegen Napoleon haben in Deutschland ein Nationalbewusstsein wachsen lassen. 1815 wird nicht nur der „Deutsche Bund“, ein lockerer Zusammenschluss von 39 Fürsten gegründet, sondern auch in Jena die „Deutsche Burschenschaft“. Sie fordert 1817 auf dem Wartburgfest einen deutschen Nationalstaat und die Abschaffung des Absolutismus. Als der Burschenschafter Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 in Mannheim den Dichter August von Kotzebue in dessen Wohnung in A 2,5 ermordet, werden die Burschenschaften durch die Karlsbader Beschlüsse verboten, Presse und Universitäten überwacht und freiheitliche Aktivitäten geahndet.

Mit der Julirevolution von 1830 zwingen die Franzosen ihren König zur Abdankung und inthronisieren Louis Philippe als Bürgerkönig. Dies beflügelt die Freiheitsbewegung in ganz Europa, worauf der bayerische König Ludwig I. mit der Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit reagiert.

Dagegen protestieren die Juristen und Journalisten Dr. Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789 – 1845) und Johann Georg Wirth (1898-1848) und gründen Anfang 1832 den „Deutschen Preß- und Vaterlandsverein“.

Innerhalb kürzester Zeit zählt er 5.000 Mitglieder in ganz Deutschland. Als die „Neue Speyerer Zeitung“ im April 1832 zum bayerischen Verfassungstag am 26. Mai auf das Hambacher Schloss einlädt, nutzen Siebenpfeiffer und Wirth die Gelegenheit und funktionieren die Einladung zu einem Nationalfest am 27. Mai um, das ein Zeichen für nationale Einheit und bürgerliche Freiheit setzen soll.

Der Einladung folgen an die 30.000 Männer und Frauen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten vor allem aus der Pfalz und anderen deutschen Ländern. Aber auch Delegationen aus Polen, Frankreich und England sind dabei, ebenso eine große Abordnung Burschenschafter aus Heidelberg. Am frühen Morgen des 27. Mai 1832 zieht der Festzug mit schwarz-rot-goldenen Fahnen unter Glockengeläut vom Neustadter Marktplatz zum Hambacher Schloss hinauf. Dabei wird das von Siebenpfeiffer verfasste Lied „Hinauf Patrioten zum Schloß, zum Schloß“ gesungen.

In glühenden Reden beschwören Dr. Philipp Siebenpfeiffer, Johann Wirth und andere Redner nationale Einheit, politische Souveränität des Volkes und bürgerliche Freiheit, vor allem Meinungs- und Redefreiheit, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Gleichberechtigung aller Bürger, einschließlich der Frauen. Siebenpfeiffer ruft dazu auf, sich nicht mehr unter das Joch der Fürsten zu beugen, sondern für die Freiheit zu kämpfen. Er beendet seine Rede mit den Worten „ein Hoch auf jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört“. Es werden auch Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie erhoben. Wirth fordert sogar eine föderale Republik in einem konföderierten Europa.

Angesichts solch provozierender Forderungen reagiert der Deutsche Bund mit verschärfter Unterdrückung. Um eine Revolution zu verhindern, rücken bayerische Truppen in die Pfalz ein. Politische Vereine und Versammlungen werden ebenso verboten wie das Tragen schwarz-rot-goldener Abzeichen. Nur wenige Teilnehmer des Hambacher Festes können ins Exil fliehen. Siebenpfeiffer, Wirth und weitere Redner werden wegen „versuchter Aufreizung zum Umsturz der Staatsregierung“ verhaftet und in Landau vor Gericht gestellt. Im Prozess werden Siebenpfeiffer und Wirth zwar freigesprochen, dennoch aber später vom "Zuchtpolizeigericht" wegen Beamtenbeleidigung zu Haftstrafen verurteilt.

Freunde ermöglichen Siebenpfeiffer im November 1833 die Flucht aus dem Gefängnis. Er flieht in die Schweiz, wo er in Bern Professor für Straf- und Staatsrecht wird. Wirth emigriert 1836 zunächst nach Frankreich und 1839 in die Schweiz nach Kreuzlingen. 1847 zieht er nach Karlsruhe und wird in die deutsche Nationalversammlung gewählt. Wenig später stirbt er in Frankfurt.

Das Hambacher Fest bleibt eines der bedeutendsten Ereignisse der deutschen Demokratie-geschichte und macht das Hambacher Schloss zur Wiege der deutschen Demokratie und der europäischen Einigung. Der Wunsch nach Freiheit und Einheit bleibt bestehen und bereitet später den Boden für die badische Revolution von 1848.

Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende industrielle Revolution führt zum Niedergang der unrentabel gewordenen Manufakturen und stürzt viele Handwerker und Arbeiter in Arbeitslosigkeit und Armut. Die Missernten der Jahre 1845 – 1847 lösen Hungersnöte aus. Viele Pfälzer wandern nach Amerika aus, um Hunger und Armut zu entkommen. Die Unzufriedenheit wächst. Es gibt Unruhen. Die Arbeiter fordern soziale Gerechtigkeit, die Bauern Befreiung von drückenden Abgabelasten und das liberale Bürgertum schließlich die Gründung eines deutschen Nationalstaates, von dem es sich wirtschaftliche Vorteile verspricht. Bereits im Vormärz zeigen sich die ersten unterschiedlichen Konzepte von gemäßigten Liberalen und radikalen Republikanern, was später zu einer Spaltung der Revolution führen wird.

 

Zu den Anführern der badischen Revolution werden Friedrich Hecker und Gustav Struve. Beide zählen zu den radikaldemokratischen Republikanern.

Der am 28. September 1811 in Eichtersheim geborene Hecker wächst in einem bürgerlich-liberalen Elternhaus auf. Er besucht von 1820 bis 1830 das Großherzogliche Lyceum in Mannheim und studiert in Heidelberg Jura. 1834 promoviert er mit summa cum laude zum Doktor jur. Nach Beendigung seines Referendariats in Karlsruhe scheidet er aus dem Staatsdienst aus. Aber erst 1838 kann er am Großherzoglichen Oberhofgericht eine Stelle als Advokat antreten. Dort lernt er seinen Amtskollegen Gustav von Stuve kennen.

Gustav von Struve, am 11. Oktober 1805 in München geboren, besucht zunächst in Stuttgart und von 1817 bis 1822 in Karlsruhe das Lyceum und studiert danach Jura in Göttingen und Heidelberg, wo er sich der Alten Heidelberger Burschenschaft anschließt. 1827 wird er Attaché im oldenburgischen Staatsdienst, erregt aber mit seinen Ansichten bald Anstoß. Nach kurzen Stationen in Göttingen und Jena lässt er sich 1833 in Mannheim als Rechtsanwalt nieder und wird 1836 Obergerichts-Advocat. Als er 1845 Amalie, Adoptiv-Tochter eines Mannheimer Sprachlehrers heiratet, führt diese nicht standesgemäße Heirat zum Bruch mit seiner Familie und er legt seinen Adelstitel ab. Die selbstbewusste Amalie Struve unterstützt ihren Mann bei seiner politischen Tätigkeit und ist in der Frauenbewegung aktiv.

 

Zunächst haben die beiden Männer nur wenig Kontakt zueinander. Der mit Adam von Itzstein befreundete Hecker wird 1842 in den Mannheimer Gemeinderat gewählt, in die noch heute existierenden Herrengesellschaft „Räuberhöhle“ aufgenommen und auch Abgeordneter in der zweiten badischen Kammer in Karlsruhe. Er ist ein ausgezeichneter Redner und wird als Wortführer der liberal-demokratischen Opposition schnell bekannt.

Als die Unruhen 1848 in Frankreich zur Revolution führen, muss der Bürgerkönig Louis Philippe I abdanken und am 24. Februar wird die Republik ausgerufen. Die Nachricht erreicht schnell Baden und die Pfalz und wirkt wie ein Fanal.

Für den Abend des 27. Februar 1848 berufen Hecker und Struve in die Aula des Großherzoglichen Lyceums in Mannheim, A 4, 4 eine Bürgerversammlung ein, die zur ersten Kundgebung der Revolution in Deutschland wird. In einer an die badische Regierung gerichteten Petition fordern sie „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne den Unterschied der Geburt und des Standes“, eine konstitutionelle Verfassung und ein gesamtdeutsches Parlament, Pressefreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung, Versammlungs- und Vereinigungsrecht sowie eine Amnestie für politische Vergehen

Diese sogenannten Märzforderungen werden zum Grundsatzprogramm der Revolution von 1848 und verbreiten sich schnell in allen deutschen Staaten. Unter dem Eindruck der Ereignisse wird in Baden bereits am 9. März eines der ersten liberalen März-Ministerien berufen.

Als am 30. März 1848 in Frankfurt das „Vorparlament“ zusammentritt, sind auch Hecker und Struve dabei. Mit ihrer Forderung nach einem republikanischen Deutschland können sie sich aber gegenüber den Befürwortern einer konstitutionellen Monarchie nicht durchsetzen. Enttäuscht verlassen sie die Versammlung und rufen am 12. April in Konstanz die Republik aus. Unter Heckers Führung bricht am Morgen des 13. April eine Gruppe bewaffneter Freischärler in Richtung Karlsruhe auf, um die Residenz einzunehmen und den Großherzog zu entmachten.

Doch dem Heckerzug schließen sich unterwegs nur etwa 800 Teilnehmer an. Die erhoffte breite Unterstützung des Volksaufstandes bleibt aus. Bei Kandern werden die Revolutionäre am 20. April von Truppen des Deutschen Bundes vernichtend geschlagen. Hecker und Struve können in die Schweiz fliehen. Ihre Namen werden aus der Anwaltsliste gestrichen.

In Mannheim, wo die Bürgerwehr bei der Rheinbrücke Barrikaden errichtet, kommt es am 26. April 48 noch zu einem kurzen Gefecht, wobei die militärische Übermacht der bayerischen und hessischen Truppen weiteres Aufbegehren erstickt.

Hecker emigriert nach Amerika, kauft in Illinois eine Farm und baut Wein an. Er unterstützt Lincolns Wahl zum Präsidenten, setzt sich für die Abschaffung der Sklaverei ein und nimmt auf Seiten der Union an den Sezessionskriegen teil. Im Alter von 69 Jahren stirbt er auf seiner Farm.

Struve dagegen gibt nicht auf, sondern unternimmt einen erneuten Aufstand. Aus Basel kommt er am 21. September 1848 mit 50 Männern nach Lörrach. Dort hisst er die rote Fahne und proklamiert vom Balkon des Rathauses aus die deutsche Republik. Die Freischärler brechen nach Karlsruhe auf.

Doch bereits bei Staufen schlagen die großherzoglichen Soldaten den Struve-Putsch nieder und nehmen Struve und seine Frau Amalie gefangen. Beide werden wegen versuchten Hochverrates verurteilt. Amalie wird bis April 1849 in Freiburg inhaftiert, Gustav Struve in die Festung Raststatt gebracht.

Am 27. März verabschiedet die Nationalversammlung in der Paulskirche die Verfassung des Deutschen Reiches und wählt Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser. Doch Österreich und die deutschen Staaten erkennen die Verfassung nicht an und der preußische König lehnt eine auf der Grundlage einer konstitutionellen Monarchie beruhende Kaiserwürde ab. Daraufhin flammen im Mai nochmals Aufstände auf. Als die Soldaten der Rastatter Festung meutern, wozu Amalie mit ihrer Agitation beiträgt, wird ihr Mann am 12. Mai ins Bruchsaler Zuchthaus verlegt, aber schon in der folgenden Nacht von Revolutionären befreit. Großherzog Leopold flieht ins Elsass und der liberale Rechtsanwalt Lorenz Brentano bildet eine provisorische republikanische Regierung.

Als jedoch am 22. Juni preußische Truppen in Mannheim einrücken und am 23. Juli die Kapitulation der badischen Revolutionäre in der Festung Raststatt erzwingen, ist die Revolution endgültig gescheitert.

Struve und seine Frau Amalie gehen in die Schweiz, wo sie bald wegen Agitation ausgewiesen werden. Über Frankreich und England emigrieren sie 1851 in die USA. Wie Hecker, unterstützt auch Struve Abraham Lincoln und nimmt am Bürgerkrieg gegen die Südstaaten teil. Als das badische Großherzogtum 1862 den Beteiligten der Revolution Straffreiheit gewährt, kehrt Struve zurück. Amalie ist kurz zuvor bei der Geburt ihrer Tochter gestorben. Gustav Struve stirbt am 21. August 1870.

Zwar wurde die badische Revolution niedergeschlagen, aber der Wunsch nach Freiheit und bürgerlichen Rechten blieb. Das Hambacher Fest und die badische Revolution waren Wege zu unserer heutigen Demokratie, in der die Forderungen des Hambacher Festes und der badischen Revolution alle erfüllt sind. Die Demokratie darf aber nicht selbstverständlich sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie erkämpft wurde.

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