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1743-1778 Mannheimer Schule

1743 - 1778 Die Mannheimer Schule

Die von Johann Stamitz begründete "Mannheimer Schule" schuf mit ausgefeilten stilistischen und dynamischen Mitteln wie dem Crescendo oder der „Rakete“ einen modernen Orchesterklang und machte Mannheim zum Mittelpunkt des europäischen Musiklebens. Hier entstand die Sinfonie in ihrer heutigen Form. Viele bedeutende  Solisten und Komponisten waren Mitglieder der für ihre spieltechnische Perfektion berühmten Hofkapelle.

Nach einem Streit um die Nutzung der Heidelberger Heiliggeistkirche verlegt Kurfürst Carl Philipp im Jahre 1720 seine Residenz nach Mannheim und legt den Grundstein für das Mannheimer Schloss. Da zum höfischen Leben nicht zuletzt aus repräsentativen Gründen  auch Hofmusik gehört, gründet Carl Philipp mit Musikern aus Düsseldorf und Innsbruck ein Hoforchester.

Als der Kurfürst an Silvester 1742 stirbt, tritt der mit seiner Enkelin Elisabeth Augusta verheiratete Carl Theodor die Nachfolge an. Unter dem neuen Kurfürsten entwickelt sich Mannheim zu einer glanzvollen Residenzstadt. Der ebenso tolerante und gebildete wie auch großzügige Kurfürst fördert mit der Gründung der Kurpfälzischen Akademie der Wissen-schaften und der Societas Meteorologica Palatina die Naturwissenschaften und holt Gelehrte wie Christian Mayer und Johann Jakob Hemmer nach Mannheim.


Während seiner Regierungszeit erlebt die Kurpfalz auch eine kulturelle Blütezeit von europäischer Geltung. Carl Theodor liebt Musik und spielt sogar selbst Flöte und Cello. So widmet er sich der Pflege seines Hoforchesters und seines Hoftheaters. Er ernennt 1743 den Hofviolonisten Johann Stamitz zum Konzertmeister der Mannheimer Hofkapelle.

Stamitz, einer der besten Geigenvirtuosen seiner Zeit, beginnt zunächst mit dem Aufbau der Violinklasse, der Säule des Orchesters. Mit der Ausbildung so exzellenter Geiger, wie Wilhelm Cramer, der Brüder Carl Joseph und Johannes Toeschi oder des erst 12 jährigen Christian Cannabich, schafft er die Grundlage für die vorbildliche und wegen ihrer Präzision viel gerühmten Spielkultur der Hofkapelle.

Der 1753 engagierte Wiener Komponist Ignaz Holzbauer vollendet Stamitz´ Aufbauarbeit in den anderen Instrumentalgruppen und besetzt führende Positionen mit Solisten aus ganz Europa, die ihr Wissen und Können den jungen Musikern vermitteln. Unter den Hofmusikern gibt es nicht nur viele freundschaftliche Beziehungen. Oft gehören dem Orchester Mitglieder einer Familie, ja ganze Familiendynastien über mehrere Generationen hinweg an und geben ihr Wissen an den Nachwuchs weiter. Spätestens ab Mitte der sechziger Jahre rücken die besten Musiker aus der eigenen Orchesterschule nach. Die jungen Orchestermusiker werden jedoch nicht nur zu Spezialisten ihres Instrumentes ausgebildet, sondern die begabtesten Schüler erhalten auch Kompositionsunterricht. Der Kurfürst unterstützt ihre Ausbildung, indem er ihnen Studienaufenthalte in Italien finanziert.

Infolge des vorbildlichen Ausbildungssystems gehören der Hofkapelle immer mehr exzellente Virtuosen an, die zugleich aber auch bedeutende Komponisten sind. Bald gilt das kurpfälzische Hoforchester nicht nur als hervorragende Orchesterschule, sondern auch als Kompositionsschule, die ihresgleichen in Europa sucht.

Als Stamitz 1757 im Alter von nur 39 Jahren stirbt, wird sein Meisterschüler Christian Cannabich sein Nachfolger. Unter seiner Leitung wird die Ausbildung der Musiker fortgeführt und sie werden  im präzisen Zusammenspiel geschult. Er soll auch den  einheitlichen Bogenstrich eingeführt haben. Die bis dahin individuell ausgeführten Auf- und Abstriche hatten ein ungeordnetes Klangbild ergeben. Unter anderen unterrichtet er auch Carl und Anton Stamitz, die Söhne seines Vorgängers.

Unter Holzbauers und Cannabichs Leitung entwickelt sich das Hoforchester zu jenem legendären Ensemble, das in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts durch seine Größe von bis zu 75 Musikern, davon allein 20–22 Geigen und Spielkultur in ganz Europa Furore macht.

Neben Johann Stamitz und seinen beiden Söhnen Carl und Anton sind auch andere Geiger der Hofkapelle namhafte Komponisten. Zu ihnen gehören die  Brüder Carl und Johannes Toeschi, Wilhelm Cramer sowie Ignaz Fränzl. Zu nennen sind auch der Violoncellist Anton Fils oder der Flötist Johann Baptist Wendling und nicht zuletzt die Kapellmeister Ignaz Holzbauer und Georg Joseph Vogler, der auch Carl Maria von Weber und Giacomo Meyerbeer unterrichtet. Es versteht sich von selbst, dass bei einer derart reichen Auswahl an exzellenten Komponisten das Hoforchester vor allem eigene Stücke aufführt. Auf diese Weise bildet sich ein spezifisch Mannheimer Kompositionsstil heraus, der als „Mannheimer Schule“ in die Musikgeschichte eingeht.

Die Musik der „Mannheimer Schule“ zeichnet sich durch ihre Abkehr vom Generalbass, dem Verzicht auf das Cembalo in den Sinfonien, und die Hinwendung zum melodiebetonten Spiel in den Oberstimmen aus. Durch die Mitwirkung der solistisch besetzten Blasinstrumente, vor allem Oboen und Flöten, die zunehmend die melodischen Abschnitte mitgestalten, und mit der Erweiterung des Orchesters um Klarinetten erhält die Musik eine neue Klangfarbe. Neu ist auch die Einführung eines Menuetts als zusätzlichen Satz vor dem Finale. Charakteristisch für die „Mannheimer Sinfonie“ sind Unisono-Eröffnungen des gesamten Orchesters mit Akkordschlägen oder dynamische Finessen wie das Aufeinanderprallen von Piano und Forte. Eine weitere musikalische Neuerung ist das Orchestercrescendo, ein stetes Lauterwerden bei gleicher Harmonik.

Überaus innovativ zeigen sich die Mannheimer auch bei der Entwicklung eindrucksvoller und aussagekräftiger Klangeffekte. Nicht von ungefähr fasst der Musikwissenschaftler Hugo Riemann, der um 1900 als einer der Ersten die Musik der „Mannheimer Schule“ erforscht, diese moderne bildhafte Musiksprache unter dem Begriff „Mannheimer Manieren“ zusammen.

Schwungvoll ist die „Mannheimer Rakete“, eine fanfarenartige, aufwärtsgeführte Dreiklangbewegung, oft über mehrere Oktaven. Den  „Mannheimer Seufzer“, kennzeichnet vor allem ein abwärts geführter Halbtonschritt mit Betonung von Vorhalten. Oft wird ein Werk der „Mannheimer Schule“ mit einer „Mannheimer Walze“ eröffnet, einer in Dreiklangsstufen allmählich aufsteigenden Melodielinie mit einem sich wiederholenden Thema.

Beliebt ist auch der „Mannheimer Schleifer“, ein schneller Quartsprung. Auch der „Mannheimer Funke“, das „Vögelchen“ oder die „Bebung“ zeugen vom Einfallsreichtum und der Experimentierfreude der Komponisten.

Hier im Rittersaal finden in den Wintermonaten seit 1753 die Musikalischen Akademien als Bestandteil des höfischen Lebens statt. Die Wintersaison beginnt stets am 4. November, dem Namenstag des Kurfürsten. Das Orchesterpodium steht gegenüber der Fensterfront und die Hofgesellschaft nimmt nach einer festgelegten Sitzordnung an kleinen Spieltischen Platz.

Aus ganz Europa kommen jedes Jahr tausende Besucher aus Hochadel sowie Künstler,  Musikliebhaber und Bildungsreisende in die Residenz, um bei den Hofkonzerten und Opernaufführungen das berühmte Orchester zu erleben. Im Sommer finden die Veranstaltungen im Schwetzinger Schloss statt.

Die Gäste, neben Mozart und Johann Christian Bach sowie Christoph Willibald Gluck,  auch die Dichter Goethe, Lessing und Klopstock, sind vom hohen Niveau der Hofmusik begeistert. So lobt etwa der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart: "Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Mannheimer zuvorgethan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt, sein Diminuendo- ein in die Ferne hin plätschernder Krystallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch".

Die kontrast- wie nuancenreiche dynamische Musik begeistert durch ihre Natürlichkeit, ihren Einfallsreichtum und ihren Schwung ebenso wie durch ihre Orchesterkultur, die sich durch ein außergewöhnlich hohes Niveau an Spieltechnik aber auch Spielfreude auszeichnet.

Aufgrund der bayerischen Erbfolgeregelung verlegt Kurfürst Carl Theodor im Jahre 1778 seine Residenz nach München und nimmt auch die meisten Musiker seiner Hofkapelle mit. Damit endet Mannheims Ära als eine der führenden Musikmetropolen Europas.

Die „Mannheimer Schule“ aber hat wichtige Impulse für die Entwicklung des klassischen Sinfonieorchesters und der Konzertsinfonie gegeben. Sie beeinflusst nicht nur die Komponisten der Wiener Klassik wie Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven, sondern darüber hinaus die Orchestermusik bis hin zur Romantik.

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