Blattstellungslehre 1834 Eiszeitlehre 1835 Faltengebirge 1840
Karl Friedrich Schimper (1803-1867)
Karl Friedrich Schimper entstammt einer Familie, aus der mehrere bedeutende Botaniker hervorgehen. Er wird als Sohn des Landvermessers Friedrich Ludwig Heinrich Schimper und seiner Ehefrau, der Nürnberger Patriziertochter Margaretha, Freiin von Furtenbach am 15. Februar 1803 in Mannheim geboren und ist sehr stolz darauf, dass am gleichen Tag kein Geringerer als Galileo Galilei das Licht der Welt erblickte. Eineinhalb Jahre später wird Schimpers Bruder Wilhelm geboren.
Die Ehe der Eltern verläuft nicht glücklich. Der Vater verliert seine Arbeit und die Familie lebt in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Schließlich wird die Ehe geschieden und der Vater zieht mit russischen Truppen nach Petersburg, während die Mutter mit den beiden Söhnen in Mannheim zurückbleibt. Freunde und Verwandte helfen der Familie und ermöglichen den beiden begabten Kindern den Besuch des Lyzeums im ehemaligen Jesuitenkolleg im Quadrat A 4.
Zusammen mit seinem Bruder erkundet Karl Friedrich gerne die Wiesen und Wälder Mannheims. Er interessiert sich früh für die Botanik und hilft schon als Schüler dem Naturforscher und Kurator am naturkundlichen Museum Friedrich, Wilhelm Suckow, bei der Erforschung der „Flora Mannheimiensis“. Im Vorwort des 1822 in lateinischer Sprache erscheinenden Buches dankt Suckow Karl Friedrich dafür, dass dieser mit großem Fleiß die Pflanzen gesammelt und deren Fundorte gewandt beschrieben hat.
1822 verlässt Karl Friedrich die Schule mit einem hervorragenden Zeugnis. Darin wird ihm bescheinigt, dass er „in allen Lehrzweigen der Anstalt durch tüchtiges und gelungenes Streben unter die ersten Schüler gehörte und sich durch gutes und bescheidenes Betragen die Achtung aller seiner Lehrer erworben hat“. Ein Stipendium ermöglicht es ihm, an der Heidelberger Universität Theologie zu studieren.
Nach zwei Jahren bricht er sein Studium ab und reist im Auftrag des „Württembergischen Reisevereins“ nach Südfrankreich und die Pyrenäen, um Pflanzen für Herbarien zu sammeln. Als er im Herbst 1825 zurückkehrt, bringt er mehr als 20.000 Pflanzen mit. Er ordnet und bestimmt sie bei seinem im elsässischen Offweiler lebenden Onkel Franz Wilhelm Schimper und später bei seinem väterlichen Freund, dem Botaniker und Gartendirektor Johann Michael Zeyher in dessen Wohnung beim Schwetzinger Schloss. Heute ist hier das Amtsgericht untergebracht.
Bei Zeyher lernt er dessen Pflegetochter Sophie Wohlmann kennen und verlobt sich mit ihr. Die Verlobung wird zwar vier Jahre später gelöst, doch bleiben sich beide lebenslang freundschaftlich verbunden. Im September 1826 begegnet Schimper bei Zeyher auch dem Dichter Johann Peter Hebel nur wenige Tage vor dessen Tod. Schimper ist von Hebel tief beeindruckt und verehrt ihn fortan. Nur wenig später beginnt Schimper in Heidelberg ein Medizinstudium. Dort schließt er Freundschaft mit Alexander Braun und Louis Agassiz, denen er im Jahre 1828 nach München folgt. 1929 wird er "in absentia“, also ohne Prüfung, zum Doktor der Philosophie promoviert.
Viel wichtiger sind ihm jedoch seine botanischen Forschungen, insbesondere die Untersuchung zu den Gesetzmäßigkeiten bei der Blattstellung von Pflanzen. Die Forschungsergebnisse veranschaulicht Schimper in der 1829 im Magazin für Pharmacie erscheinenden Abhandlung am Beispiel des unscheinbaren Heilkrautes "Beinwell", das er nach seinem väterlichen Freund „Symphytum zeyheri“ nennt. Bei manchen Pflanzen sind die Blätter auf gleicher Höhe am Stängel angeordnet, bei anderen abwechselnd. Denkt man sich eine Spirallinie um den Stängel herum, werden die Abstände messbar. Wenn die Spirallinie beim untersten Blatt beginnend, zwei Mal um den Stängel herumgelaufen ist, sieht man das 6. Blatt wieder genau über dem Ausgangsblatt. Mit seiner „Blattstellungslehre“ weist Schimper nach, dass die Anordnung der Pflanzenblätter geometrischen Regeln folgt. Damit wird er zum Mitbegründer der modernen botanischen Morphologie, der Lehre von der Struktur und Form der Organismen.
Die „Beschreibung des "Symphytum Zeyheri“ bleibt leider Schimpers einzige wissenschaftliche Veröffentlichung. Über die geometrische Gestaltung der Pflanzen hält Schimper im September 1834 auf der Naturforschertagung in Stuttgart zwar Vorträge, veröffentlicht jedoch darüber nichts. Daher verfasst sein Freund Alexander Braun ein Referat unter dem Titel „Dr. Karl Schimpers Vorträge über die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Verständnisses der Blattstellung....“, das 1835 in der namhaften Zeitschrift „Flora“ erscheint und Schimpers Forschung in der Fachwelt bekannt macht. Obwohl ihm Braun mit dieser Veröffentlichung nur helfen will, ist Schimper darüber verärgert, dass ihm die Endfassung nicht vorgelegt wurde.
Schimper befasst sich später noch mit vielen weiteren botanischen Themen wie z.B. dem Bau und der Verzweigung von Wurzeln. Er entdeckt auch die Fähigkeit der Moose, Wasser kapillar zu speichern und ihre daraus resultierende Bedeutung für den Wald und den Wasserhaushalt der Landschaft. Leider ist er nicht dazu zu bewegen, seine Ergebnisse als wissenschaftliche Abhandlung zu veröffentlichen, sondern zieht es vor, seine Beobachtungen in zahlreichen Lehrgedichten, wie zum Beispiel das „Mooslob“ festzuhalten.
Was hält uns im Geleise? Was rettet uns vom Eise?
Vor dorrender Versteppung? Und Länderstaubverschleppung?
Was wärmt und bringt den Regen? Was fesselt seinen Segen?
Was spart und nähret Flüsse? Was sichert uns Genüsse?
Die Kleinsten und der Große, Der Golfstrom und die Moose!
Während die Botaniker die Bedeutung von Schimpers Blattstellungslehre erkennen und schon zu seinen Lebzeiten würdigen, werden seine Leistungen auf dem Gebiet der Geologie erst lange nach seinem Tode anerkannt.
Schimper bleibt nach der Promotion in München und wendet sich vor allem geologischen Themen zu. Man suchte damals schon lange zu ergründen, auf welche Weise gewaltige Gesteinsbrocken in Gebiete gelangt waren, aus denen sie geologisch nicht stammen konnten. Viele Forscher erklärten dies mit vulkanischer Tätigkeit, andere meinten, die Findlinge seien nach Hebung der Alpen durch Wasserfluten herab gespült worden.
Im Wintersemester 1834/35 hält Schimper einen Vortrag über die geologische Geschichte der Pflanzen und Tiere, und im Wintersemester 1835/36 folgen Vorträge über Klimaschwankungen, Eis- und Warmzeiten. Schimper erklärt, dass sich Warm- und Kaltzeiten seit Jahrmillionen abwechseln und kommt zu dem Schluss, dass die großen Findlinge im Alpenvorland nicht durch Wasser, sondern allein durch Eis während der letzten „Verödungszeit“ an ihre jetzige Stelle transportiert wurden.
Er reist im Sommer 1836 in die Schweiz, wo er sich mit Gletscherforschern trifft. Im Dezember desselben Jahres besucht er in Neuchâtel seinen Studienfreund Louis Agassiz besucht, der sich dort mit Studien über fossile Fische befasst und geologischer Vorträge hält.
Bei ausgedehnten Wanderungen entdeckt Schimper in der Nähe von Neuchâtel die inzwischen berühmten Gletscherschliffe von Landeron. Diese sind entstanden, als Eis von riesigen Gletschern ins Rutschen geriet und das dabei mitgeführte Gestein den Untergrund glatt schliff. Ein wichtiger Hinweis auf die ehemals große Ausdehnung der Gletscher und ein untrügliches Zeichen für eine von Gletschern geformte Landschaft.
Über diese Erkenntnis verfasst Schimper die auf den 15. Februar 1837 -sein Geburtstag- datierte Ode „Eiszeit“:
Ureises Spätrest, älter als Alpen sind!
Ureis von damals, als die Gewalt des Frosts
Berghoch verschüttet selbst den Süden,
Ebnen verhüllt so Gebirg' als Meere!
An der im Juli desselben Jahres in Neuchâtel stattfindenden Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften kann Schimper nicht teilnehmen und somit nicht über seine Entdeckung berichten. Er weilt inzwischen bei seiner neuen Braut Emmy Braun in Karlsruhe. Emmy ist die Schwester seines Freundes Alexander Braun. Mit ihr hat sich Schimper zwei Jahre nach der der Trennung von seiner ersten Braut Sophie verlobt. Brauns zweite Schwester Cecilie ist mit dem gemeinsamen Freund Agassiz verheiratet.
Arglos überlässt Schimper dem Freund Agassiz seine ausführliche Abhandlung „Über die Eiszeit“, damit dieser sie bei der Versammlung veröffentlicht. Agassiz, der die Bedeutung der fundamentalen Theorie erkennt, trägt Schimpers Bericht vor und wird bald als Begründer der Eiszeittheorie gefeiert, was er sich gerne gefallen lässt.
Schimper reagiert gereizt und voller Zorn, was die Spannungen zwischen ihm und Agassiz um so mehr steigert. Als Agassiz nach eigenen Gletscherforschungen 1841 sein Buch „Untersuchungen über die Gletscher“ veröffentlicht, erwähnt er darin Schimper mit keinem Wort. Auch mit aufklärenden Mitteilungen vermag Schimper nicht seine Prioritätsansprüche gegen den weltgewandten und erfolgreichen Agassiz durchzusetzen. In seiner Ode „Gebirgsbildung“ beklagt sich Schimper über die fehlende Anerkennung und den Verrat des Freundes, den er mit einer diebischen Elster vergleicht:
Das galileische Folter verübt an dem Sänger der Eiszeit,
Oder mit Diebssinn ihn, Tiefes verflachend, bestahl,
Während Aglastergeschwätz einer diebischen Elster die Menge
Ehrlich und dumm und stumm oder beklatschend bestaunt.
Zum Glück findet Schimper bald eine neue Aufgabe, die ihn ausfüllt. Kronprinz Maximilian von Bayern beauftragt ihn im Frühjahr 1840 mit der geologischen Erforschung der bayerischen Alpen und der Rheinpfalz. Mehr als 6 Monate verbringt Schimper in den Bergen mit dem Sammeln von Gesteinsproben. Bei seinen Untersuchungen kommt er mit der ihm eigenen unvoreingenommenen Beobachtung zu der grundlegenden Erkenntnis, dass die Alpen durch einen Druck in horizontaler und nicht, wie man damals glaubte, durch einen von unten wirkenden vertikalen Druck aufgefaltet wurden.
In seinem Bericht an die Ende 1840 in Erlangen tagende Naturforscher-Versammlung, den er auf eine Kiste mit Belegstücken niederschreibt, widerspricht der streitbare Schimper mit großer Schärfe der herrschenden Gebirgsbildungstheorie. Er schreibt: „Es ist im Angesicht der Alpen, eine unbegreifliche Lächerlichkeit, den mechanischen Charakter der Hebungen, Durchgänge und Stützungen in Abrede stellen zu wollen.“ Er legt dar, dass alle von ihm in den Schweizer und bayerischen Alpen wie auch im Jura gesehenen Verhältnisse beweisen, „daß die Erhebung sowohl gewölbter wie geschichteter Massen infolge jenes Horizontal-Druckes entstanden ist, den sich eine schwere Erdrinde selbst geben mußte, als der Erdkern, auf dem sie aufliegt, kleiner wurde.“, dass also ein Horizontal-Druck die schrumpfende Erde zu Falten aufstauchte.
Leopold von Buch, Studienfreund von Alexander von Humboldt und prominenter Vertreter der herrschenden Meinung, lässt es sich nicht nehmen, der Naturforscher-Versammlung Schimpers Sendbrief selbst vorzulesen und die Ausführungen in der Luft zu zerreißen. Es wird noch fünfunddreißig Jahre dauern, bis sich Schimpers These vom Faltengebirge durchsetzt. Jedoch wird die Anerkennung dem österreichischen Geologen Eduard Suess zuteil, als dieser in seinem Werk „Die Entstehung der Alpen“ Schimpers Erkenntnisse aufgreift, ohne ihn jedoch namentlich zu erwähnen.
Trotz der vernichtenden Kritik setzt Schimper mit großem Eifer seine geologischen Untersuchungen in der Rheinpfalz fort, liefert aber keine Berichte mehr. Hierüber kommt es zu einem Streit mit Kronprinz Maximilian, Vater des späteren bayerischen Königs Ludwig II. Schimper überwirft sich mit dem Kronprinzen, worauf dieser ihm kein Gehalt mehr zahlt. Dies setzt auch Schimpers Hoffnung auf eine Anstellung in München und eine weitere Karriere ein Ende.
Nachdem ihm die Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen wie auch eine Professur an einer Hochschule, auf die Schimper so sehr gehofft hatte, versagt bleiben und es ihm trotz Drängens seiner Braut nicht gelingt, mit einer dauerhaften Stellung eine Familie ernähren zu können, löst Emmy nach acht Jahren die Verlobung. Dies trifft Schimper so sehr, dass seine Freundschaft mit Alexander Braun nun vollends zerbricht.
Am Boden zerstört, verbittert und völlig mittellos kehrt Schimper Ende 1842 in seine Geburtsstadt Mannheim zurück und schlägt sich mühsam als Privatgelehrter mit der Erteilung von Unterricht durch. Das hindert ihn aber nicht daran, sich weiter seinen Forschungen hinzugeben und sich auch mit Flussströmungen und den Gesetzmäßigkeiten in der Anordnung des Flussgerölls zu beschäftigen. Seine vielfältigen naturkundlichen Beobachtungen zum Vorzeitklima, wie Vegetation und Augen von Tieren, die auf Sonnenschein hinweisen, Trockenrisse, die Trockenheit belegen, Wellenfurchen, die Zeugen des Windes sind, der sie vor langer Zeit ins Gestein gegraben hatte, in Tertiärschichten eingelagertes Laub, das auf Jahreszeiten schließen lässt, fasst er 1843 in der kleinen Schrift „Über die Witterungsphasen der Vorwelt“ zusammen. Damit wird er zum Begründer der Paläoklimatologie, einem Teilgebiet der Geologie, das die verschiedenen klimatischen Verhältnisse im Verlauf der Erdgeschichte erforscht und daraus Rückschlüsse für das zukünftige Klima zieht.
Seine Geldsorgen, die ihn Zeit seines Lebens begleiten, werden 1845 durch eine von Großherzog Leopold von Baden gewährten kleinen Pension gemildert. 1849 verlässt er das von der badischen Revolution aufgewühlte Mannheim (von diesen Ereignissen erzählt unsere Tafel Wege zur Demokratie) und zieht nach Schwetzingen, wo er ohne Anstellung, einsam und in bescheidenen Verhältnissen in einer Dachkammer des „Pfälzer Hofes“ unermüdlich weiter forscht. Er hält auch noch gelegentlich Vorträge und verfasst „Sendschreiben“ und Briefe. Aber er kann sich noch immer nicht dazu durchringen, seine wichtigen Forschungsergebnisse statt auf fliegenden Blättern oder Buchdeckeln systematisch geordnet und zusammenhängend niederzuschreiben und zu veröffentlichen. Lieber strebt er unaufhörlich nach Neuem und gibt sich seinen Forschungen hin. Darin findet er ebenso Erfüllung wie beim Verfassen lehrreicher Gedichte voller Witz und auch Ironie. Seine Lehrgedichte sind in zwei Lyrikbänden überliefert.
Da es von ihm keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen gibt, gerät der geniale Naturforscher in Vergessenheit. So geschieht es, dass seine Vorträge über Moose wie selbstverständlich seinem als „Moosschimper“ bekannten Straßburger Vetter Wilhelm Philipp Schimper, zugeschrieben werden, selbst wenn dieser bei der Versammlung noch nicht einmal anwesend ist, was Karl Friedrich kränkt und sein Verhältnis zu seinem Vetter belastet.
Großherzog Friedrich von Baden, der Sohn von Großherzog Leopold, erhöht nicht nur Schimpers Pension, sondern stellt ihm auch im Schwetzinger Schloss eine kleine Wohnung zur Verfügung. Und Schimper begegnet auch seiner ersten Braut Sophie wieder, die 1863 nach Schwetzingen zieht. Sie kümmert sich nun um ihn und pflegt ihn auch, als er im Juni 1867 abends auf dem Weg zu ihr überfallen und so schwer verletzt wird, dass er sich kaum noch bewegen kann. Außerdem quält ihn zunehmend eine Wassersucht. Nach monatelangem Krankenlager stirbt der brillante Naturforscher am 21. Dezember 1867 und wird nahe den Gräbern von Hebel und Zeyher in Schwetzingen beerdigt.
„Schimper ist zugleich Forscher und Denker, ebenso begabt, Möglichkeiten sich vorzustellen, wie die Wirklichkeit zu studieren“. Mit diesen Worten erinnert sich Melchior Meyr an den verstorbenen Freund aus Münchner Tagen (Flora vom 11.02.1868).
Am treffendsten aber beschreibt Schimper sein Leben selbst in dem Gedicht:
Am Tag, da Galilei kam,
kam spät genug auch ich;
Gewiss, dass sein befreiter Geist
Mit Huld geblickt auf mich
Selbständig still auf jeder Spur
Als Kind schon folgt ich der Natur
Die Alpen hab ich durchgespäht
Nach ihrer Flora Pracht,
Und wiederum sie durchgeforscht
Nach Schichtenbau und Schacht;
Hab auch die Eiszeit euch gezeigt
und anderes, wovon ihr schweigt.
Und auch erfahren, wie ein Herz
Sich freut und duldet bitt`ren Schmerz!